ArbG Dortmund: Lohnfortzahlung bei Quarantäneanordnung durch den Arbeitgeber
Seit nunmehr einem Jahr beschäftigen uns die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie. Dabei ergeben sich immer wieder Fragestellungen sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer, wie im Arbeitsleben mit möglichen oder tatsächlichen Infektionen sowie mit Quarantänemaßnahmen umzugehen ist. Das Arbeitsgericht Dortmund hatte sich nunmehr mit der Frage nach der Lohnfortzahlungspflicht während einer durch den Arbeitgeber angeordneten Quarantäne zu befassen.
Der klagende Arbeitnehmer befand sich im Zeitraum zwischen dem 11.03.2020 und dem 15.03.2020 in einer Ferienwohnung mit Selbstverpflegung in Tirol in Österreich. Am 15.03.2020 erhielten der Kläger und dessen Ehefrau, die den Kläger im Urlaub begleitet hatte und ebenfalls bei der Beklagten als Arbeitnehmerin beschäftigt ist, die Aufforderung, sich zu melden, falls sie sich in Österreich aufgehalten hätten. Dieser Aufforderung kamen die Eheleute nach. Unter dem 16.03.2020 teilte die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau mit, sie sollten zwei Wochen zu Hause bleiben und sich in Quarantäne begeben, da Tirol in Österreich am 13.03.2020 als Risikogebiet vom Robert Koch-Institut (RKI) aufgelistet worden sei. Auch dieser Aufforderung der Beklagten kamen der Kläger und seine Ehefrau nach. Die Beklagte verrechnete in der Folgezeit 62 Stunden und 45 Minuten Arbeitszeit mit entsprechenden Positivsalden des Arbeitszeitskontos des Klägers. Hierbei handelte es sich um die Arbeitszeit, die durch die von der Beklagten ausgesprochene Anordnung ausfiel.
Mit seiner am 02.06.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger die Gutschrift der abgezogenen 62 Stunden und 45 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto.
Mit Urteil vom 24.11.2020 hat das Arbeitsgericht Dortmund entschieden, dass dem Kläger die für den Zeitraum der Quarantäne abgezogenen Zeitensalden auf dessen Arbeitszeitkonto gutzuschreiben sind. Der Anspruch ergebe sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrag in Verbindung mit den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre in Verbindung mit § 615 Satz 1 und 3 BGB. Denn nach § 615 Satz 3 BGB könne der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung auch dann verlangen, wenn die Arbeit ausfällt und der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Dies gelte insbesondere, wenn der Arbeitgeber seinen Betrieb beispielsweise aus Gründen, die in seinem betrieblichen oder wirtschaftlichen Verantwortungsbereich liegen, einschränkt oder stilllegt. Im Falle einer Quarantäneanordnung werde der Arbeitgeber nach den Grundsätzen der gesetzlichen Risikoverteilung nur dann nach §§ 175, 326 Abs. 1 BGB von der Verpflichtung zur Zahlung der Vergütung frei, wenn die zuständige Gesundheitsbehörde beispielsweise eine Betriebsschließung oder eine Quarantäne einzelner Arbeitnehmer anordne. Eine behördliche Anordnung der Quarantäne gegenüber dem Kläger durch das zuständige Gesundheitsamt war im vorliegenden Fall allerdings nicht gegeben. Beschließt ein Arbeitgeber hingegen aus eigenem Antrieb, seinen Betrieb zu schließen oder einen oder mehrere Arbeitnehmer zum Schutz der sonstigen Belegschaft in Quarantäne zu schicken, trägt er nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre das Vergütungsrisiko. Dies gelte nach dem Rechtsgedanken des § 615 Satz 3 BGB selbst dann, wenn die Störung – wie im Fall des Coronavirus SARS-CoV-2 – nicht aus einer vom Arbeitgeber beeinflussbaren Gefahrensphäre stammt. Anderes könne, so das Arbeitsgericht Dortmund, nur dann gelten, wenn der Arbeitnehmer quasi sehenden Auges entgegen einer Einstufung des RKI ein Risikogebiet aufsucht, um dort Urlaub zu machen. Nach der Gefahrensphärentheorie wäre in solchen Fällen zumindest ein Überwiegen der Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers anzunehmen, das möglicherweise dazu führt, dass er das Vergütungsrisiko für den Arbeitsausfall zu tragen hätte. Eine solche Konstellation lag hingegen im vorliegenden Fall nicht vor. Darüber hinaus wäre in diesen Fällen auch die Form des Aufenthalts zu berücksichtigen. So biete eine Ferienwohnung mit Selbstversorgung deutlich weniger Infektionsrisiko, als beispielsweise der Aufenthalt in einem stark frequentierten Hotel oder Gasthof. Nach alledem hat die Beklagten als Arbeitgeberin das Vergütungsrisiko gegenüber dem Kläger nach dem Rechtsgedanken des § 615 Satz 3 BGB zu tragen und war daher nicht berechtigt, die 62 Stunden und 45 Minuten für den Zeitraum der von ihr angeordneten Quarantäne hinsichtlich der ausgefallenen Arbeitszeit vom Arbeitszeitkonto des Klägers abzuziehen. Daher müsse eine Gutschrift dieser zu Unrecht abgezogenen Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers erfolgen.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
Voraussichtlich werden uns die Auswirkungen der Corona-Pandemie auch im Arbeitsrecht noch eine Weile begleiten. Es darf damit erwartet werden, dass die Arbeitsgerichte sich künftig häufiger mit Fragestellungen in diesem Zusammenhang befassen werden müssen.
Gericht:
ArbG Dortmund
Datum der Entscheidung:
24.11.2020
Aktenzeichen:
5 Ca 2057/20