ArbG Neumünster: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist erschüttert, wenn Erst- und Folgebescheinigungen passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdecken

Die Parteien streiten u.a. um Entgeltfortzahlungsansprüche aus einem Arbeitsverhältnis. 

Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Tauchunternehmen im Bereich des Unterwasserbaus, seit dem 01.05.2018 als Berufstaucher und Taucheinsatzleiter beschäftigt. Am 03.01.2022 übergab der Kläger der Beklagten seine Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses zum 28.02.2022. Am 04.01.2022 konsultierte der Kläger seine Hausärztin, die ihn zunächst bis zum 14.01.2022 und danach durch Folgebescheinigungen vom 13.01.2022 (bis zum 04.02.2022) und 04.02.2022 (bis zum 28.02.2022, einem Montag) arbeitsunfähig krankschrieb. Ab dem 01.03.2022, einem Dienstag, war der Kläger wieder arbeitsfähig und begann eine Tätigkeit bei seinem neuen Arbeitgeber. Die Beklagte zahlte an den Kläger für die Monate Januar und Februar 2022 kein Entgelt und keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle. Der Kläger erhielt in dieser Zeit auch kein Krankengeld von seiner Krankenkasse. Der Kläger behauptet, in der Zeit vom 04.01.2022 bis zum 28.02.2022 arbeitsunfähig krank gewesen zu sein. Er ist der Ansicht, für die Zeit vom 04.01.2022 bis zum 14.02.2022 einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen die Beklagte zu haben. Diesen Anspruch verfolgt er klageweise.  

Das Arbeitsgericht Neumünster hat festgestellt, dass für den Kläger ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 Abs. 1 EFZG nicht in Betracht komme. Der Kläger habe nicht hinreichend dargelegt, dass er im besagten Zeitraum durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert war. 

Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 EFZG. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird daher in der Regel bereits durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 EFZG geführt. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber auch grundsätzlich nicht. Es müssen vielmehr den Beweiswert erschütternde Tatsachen vorliegen. Solche können sich aber schon aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben. Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine am Folgetag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Dies müsse – so das erkennende Gericht – auch dann gelten, wenn der gesamte Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit erst durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen abgedeckt wird.  

Denn es könne nicht entscheidend sein, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine einzelne ärztliche Bescheinigung oder durch mehrere Bescheinigungen, von denen eine Erst- und die übrigen Folgebescheinigungen sind, dargelegt wird. Beiden Fällen ist gemein, dass die gesamte verbliebene Zeit des restlichen Arbeitsverhältnisses „passgenau“ abgedeckt wird. Da die Anzahl der „erforderlichen“ Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen maßgeblich von der Dauer der Kündigungsfrist abhängt, kann es also keinen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer eine Erstbescheinigung oder weitere Folgebescheinigungen einreicht. Das gilt insbesondere dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – alle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die gleiche Ärztin ausgestellt wurden und der Arbeitnehmer direkt im Anschluss an den letzten Tag der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit wieder arbeitsfähig ist und ein neues Arbeitsverhältnis beginnt.  

Ausgehend hiervon hat der Kläger die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung für die streitgegenständliche Zeit nach § 3 Abs. 1 EFZG nicht dargetan.  

Es wäre an ihm gewesen, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine in der streitgegenständlichen Zeit bestehende Erkrankung zulassen. Der Kläger hätte beispielsweise darlegen müssen, an welchen krankheitsbedingten Einschränkungen er gelitten hat, wie intensiv die gesundheitlichen Beschwerden waren und welche Auswirkungen sie auf die vom Kläger geschuldete Tätigkeit hatten. Ein Berufen lediglich auf die ärztlichen Bescheinigungen reicht nicht aus. Der Kläger ist damit seiner primären Darlegungslast zu einer im Klagezeitraum objektiv bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht nachgekommen. Ihm steht damit ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 Abs. 1 EFZG nicht zu.  

 

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Das ArbG Neumünster lehnt sich in der vorliegenden Entscheidung an das Urteil des BAG vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 an. Der fünfte Senat hatte hier bereits festgestellt, dass sich ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung daraus ergeben, dass eine am Tag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt. Bei dem Sachverhalt, über den das BAG zu befinden hatte, handelte es sich – in Abweichung zu der vorliegenden Entscheidung des ArbG Neumünster – um eine einzige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (ohne Folgebescheinigung), die am gleichen Tag ausgestellt worden war, an dem auch die Eigenkündigung ausgesprochen wurde. Das ArbG Neumünster hat insofern die Rechtsprechung des BAG weiterentwickelt, indem es davon ausgeht, dass es (1.) keinen Unterschied machen könne, ob die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am gleichen Tag wie die Eigenkündigung oder einen Tag später ausgestellt wird, da in beiden Konstellationen ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe und dass es (2.) nicht entscheidend sein könne, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine einzelne ärztliche Bescheinigung oder durch mehrere Bescheinigungen, von denen eine Erst- und die übrigen Folgebescheinigungen sind, dargelegt wird. 

 

Vor diesem Hintergrund wird künftig u.a. zu klären sein, welcher Zeitraum zwischen dem Ausspruch der Eigenkündigung und Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegen darf, um noch von einem unmittelbaren Zusammenhang ausgehen zu können und ab wann eine Unmittelbarkeit abzulehnen ist.  

 

 

 Gericht: 

ArbG Neumünster

Aktenzeichen: 

1 Ca 20 b/22

Datum der Entscheidung: 

23.09.2022