BAG (1. Senat): Lockerung der Rechtsprechung an die Anforderungen zur Wirksamkeit von Betriebsrat-Beschlüssen bei Nichtberücksichtigung des Beschlussgegenstands bei der Ladung (unvollständige Tagesordnung)

Nach der (bisherigen) Rechtsprechung des Ersten und des Siebten Senats des BAG setzt ein wirksamer Beschluss des Betriebsrates (BR) grundsätzlich voraus, dass der Beschlussgegenstand bei der Ladung zur Sitzung sämtlichen BR-Mitgliedern mitgeteilt wird. Alle BR-Mitglieder sollen also – kurz gesagt – die Möglichkeit haben, sich im Vorfeld auf den Beschlussgegenstand vorzubereiten. Nur wenn sämtliche BR-Mitglieder erscheinen, sollen diese einstimmig beschließen können, doch noch über den Beschlussgegenstand zu beraten und abzustimmen.

Im entschiedenen Fall waren nun nicht alle Mitglieder des BR erschienen, hatten aber gleichwohl einstimmig über den in der Tagesordnung nicht genannten Beschlussgegenstand abgestimmt. Der Erste Senat will nun von seiner (bisherigen) strengeren Rechtsprechung abweichen. Da auch der Siebte Senat der bisherigen Auffassung des Ersten Senats folgte, muss der Erste Senat dort zunächst nachfragen. Von dessen Entscheidung wird es abhängen, ob der Erste Senat seine Rechtsprechung selbstständig ändern kann oder aber der Große Senat entscheiden muss. (BAG vom 09.07.2013 – 1 ABR 2/13)

Hinweise von Rechtsanwalt Michael Kügler:
Völlig unabhängig davon, wie die obige Frage in der Sache entschieden wird, zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Rechtsprechung bei den Anforderungen an die Wirksamkeit von BR-Beschlüssen offenbar Lockerungen erwägt.

Die bisherige, formale Linie wird offenbar als zu streng empfunden. Dabei mag auch der Umstand eine Rolle spielen, dass das Fehlen eines einzelnen BR-Mitglieds bei Einstimmigkeit aller übrigen Mitglieder für die Abstimmung bedeutungslos erscheint. Letztlich begibt man sich damit aber auf das Feld hypothetischer Erwägungen. Und es dürfte einige Zeit vergehen, bis die Rechtsprechung – immer unterstellt, der Erste Senat setzt sich mit seinem Willen zur Änderung der bisherigen Rechtsprechung durch – die hierbei auftretenen Fragen geklärt hat.

Bis auf weiteres sollte die Anfrage des Ersten Senats daher nicht zum Anlass genommen werden, es bei der Ladung zu BR-Sitzungen zu unvollständigen Tagesordnungen kommen zu lassen.

Aktenzeichen:

1 ABR 2/13