BAG: Anfechtung einer Betriebsratswahl aufgrund unwirksamen Tarifvertrages gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

Die Betriebe verschiedener Unternehmen waren früher unternehmensübergreifend durch Regionalleitungen geführt worden. Deshalb schlossen die Unternehmen gemeinsam mit der Gewerkschaft ver.di am 11.04.2002 einen Tarifvertrag, in dem bestimmte Betriebe der verschiedenen Unternehmen an verschiedenen Standorten in der Bundesrepublik zu neun Wahlregionen zusammengefasst wurden, in denen jeweils ein Regionalbetriebsrat gewählt wurde. Die unternehmensübergreifende Führung durch Regionalleitungen wurde zum 01.04.2004 aufgegeben. Gleichwohl vereinbarten die Parteien mit Datum vom 25.10.2004 eine Fortführung der betriebsverfassungsrechtlichen Regionalstrukturen. Der Tarifvertrag war mit einer Frist von sechs Monaten zum Quartalsende ordentlich kündbar.

Mit Schreiben vom 17.09.2009 kündigten die am Tarifvertrag beteiligten Unternehmen diesen zum 31.03.2010. Nachdem am 04.12.2009 die Mitglieder des Betriebsrates der Wahlregion Mitte zurücktraten, wurde ein Wahlvorstand gebildet. Trotz verschiedener Hinweise der Arbeitgeber auf das Ende des Tarifvertrages fand am 19.03.2010 die Stimmabgabe statt. Das Wahlergebnis wurde am 25.03.2010 bekannt gegeben.

Zwei beteiligte Unternehmen machten mit einer rechtzeitig beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift die Unwirksamkeit der Wahl geltend. Sie hielten die Wahl für nichtig und beantragten hilfsweise, die Wahl für unwirksam zu erklären. Das Bundesarbeitsgericht hielt die Betriebsratswahl nicht für nichtig, stellte aber die Unwirksamkeit der Wahl fest. Der Wahlvorstand habe den Betriebsbegriff verkannt. Zwar habe der vom Wahlvorstand zu Grunde gelegte Betriebsbegriff den Tarifvertrag zur Bildung betriebsverfassungsrechtlicher Strukturen besprochen. Dieser Tarifvertrag sei allerdings unwirksam. Die Tarifvertragsparteien haben eine unternehmensübergreifende betriebsverfassungsrechtliche Struktur schaffen wollen. Als rechtliche Grundlage dafür kommt ausschließlich die Bestimmung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in Betracht. Diese hat folgenden Wortlaut:

Durch Tarifvertrag können bestimmt werden: (…) 3. Andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen , soweit dies insbesondere aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient; (…).

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes muss berücksichtigt werden, dass durch einen Tarifvertrag gem. § 3 BetrVG die betriebsverfassungsrechtliche Organisation des Betriebes geändert werde. Damit würden auch Arbeitnehmer, die nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sind, vom Tarifvertrag erfasst werden. Der Gesetzgeber habe deshalb die Organisation der Betriebsverfassung nicht gänzlich in die Disposition der Tarifvertragsparteien gestellt. Vielmehr ermögliche § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vom Gesetz abweichende betriebsverfassungsrechtliche Organisationsstrukturen nur, soweit sie den Voraussetzungen der Bestimmung entsprechen.

Dazu gehöre zunächst ein Zusammenhang zwischen der anderen Arbeitnehmervertretungsstruktur einerseits und der Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen andererseits. Die mit dem Betriebsverfassungsgesetz verfolgten Zwecke müssten, so führt das Bundesarbeitsgericht aus, „innerhalb einer alternativen Repräsentationsstruktur besser erreicht werden können als im Rahmen des gesetzlichen Vertretungsmodells“. Die vereinbarte Vertretungsstruktur müsse „besser geeignet sein als die gesetzliche“.

Nach Wegfall der unternehmensübergreifenden Führung der Unternehmen durch Regionalleitungen sei nicht mehr erkennbar, dass diese Voraussetzungen erfüllt seien. Deshalb sei der Tarifvertrag vom 25.10.2004 unwirksam. Die Unwirksamkeit des Tarifvertrages habe aber nicht die Nichtigkeit, sondern lediglich die Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl zur Folge. Es handele sich um eine Verkennung des Betriebsbegriffes, die in aller Regel nicht zur Nichtigkeit der Wahl führe.(BAG vom 13.03.2013, 7 ABR 70/11)

Hinweis von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto: Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes verwundert in mehrfacher Hinsicht. Dem Tatbestand des Beschlusses ist zu entnehmen, dass die Unternehmen zumindest noch im Jahre 2004 gemeinsame Betriebe unterhalten haben. Gerade bei der Bildung gemeinsamer Betriebe erscheint eine unternehmensübergreifende betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmervertretungsstruktur häufig angezeigt, um eine wirksame und zweckmäßige Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu fördern. Es fällt auch eine einseitige Betonung des Schutzes der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer auf. Diese sollen vor einer tarifvertraglich geregelten Arbeitnehmervertretungsstruktur ggf. zu schützen sein. Ausgeblendet wird dabei der Schutz der kollisionsmäßigen Betätigung der Mitglieder der Gewerkschaften. Seltsam erscheint auch ein weiterer Umstand: Der Tarifvertrag wurde zum 31.03.2010 gekündigt. Eine Nachwirkung des Tarifvertrages war ausgeschlossen. Damit stand dem Betriebsrat lediglich ein Übergangsmandat zu, welches gem. § 21a BetrVG nach Ablauf von sechs Monaten endete. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt keine Neuwahl eingeleitet worden sein, hätte das Verfahren eingestellt werden müssen, da die Amtszeit des Betriebsrates mit Ablauf des 30.09.2010 beendet war. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes wirft damit mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Für die Praxis bleibt der Hinweis des Senates, dass ein wirksamer Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nur dann vorliegt, wenn die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, allerdings zu beachten.

Aktenzeichen:

7 ABR 70/11