BAG: Anfechtung eines Aufhebungsvertrages
Die Klägerin war seit dem 01.06.2015 als Teamkoordinatorin des Verkaufs im Bereich Haustechnik bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sah u.a. vor, dass das Arbeitsverhältnis mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden kann.
Am Mittag des 22.11.2019 wurde die Klägerin zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer in dessen Büro gebeten. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war ebenfalls bei diesem Gespräch zugegen. Der Klägerin wurde vorgeworfen, in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV abgeändert bzw. reduziert zu haben, ohne dass ihr zuvor mitgeteilt wurde, dass dieser Vorwurf Gegenstand des Gesprächs sein sollte. Der Klägerin wurde ein bereits vorbereiteter Aufhebungsvertrag vorgelegt, der folgende Regelungen enthält:
„Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin heben hiermit das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit Wirkung zum Ablauf des 30.11.2019 aus betrieblichen Gründen auf.
Die Arbeitnehmerin erhält für den Monat November 2019 ein Gehalt in Höhe von 4.975 €. Weitere Vergütungsansprüche bestehen nicht.
Mit Abschluss dieses Aufhebungsvertrags sind sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche, ob bekannt oder unbekannt, erledigt. Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin sind sich darüber einig, dass sämtliche Urlaubsansprüche, die entstanden sind und bis zum 30.11.2019 entstehen, vollständig erfüllt wurden.”
Nach einer längeren, etwa zehnminütigen Gesprächspause unterzeichnete die Klägerin diesen Vertrag.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2019 ließ die Klägerin die Anfechtung des Aufhebungsvertrags mit der Begründung erklären, sie sei durch widerrechtliche Drohung mit einer fristlosen Kündigung, einer Strafanzeige und „sonstigen negativen Weiterungen“ zum Abschluss des Aufhebungsvertrags bestimmt worden. Zudem sei ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten, um Rechtsrat einholen zu können, nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen.
Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin u.a. gegen die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags gewandt. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Auch in der Revisionsinstanz hatte die Klägerin keinen Erfolg. Das BAG weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass ein Aufhebungsvertrag wegen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns angreifbar sein kann. Ob das der Fall ist, ist anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stelle aber für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB dar.
Auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt wird, fehlt es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung. Ein verständiger Arbeitgeber durfte im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen.
Hinweise von Rechtsanwalt Dr. Norbert Gescher:
Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die entscheidend darauf abstellt, dass nach der in der Revision nicht mehr überprüfbaren Sachverhaltsaufklärung ein verständiger Arbeitgeber eine fristlose Kündigung in Betracht ziehen konnte. Vor diesem Hintergrund sah das BAG die Entscheidungsfreiheit der Klägerin nicht durch die Aufforderung zur sofortigen Annahme nicht unzulässig verletzt. Bereits 2019 hatte das BAG entschieden, dass es eine vorvertragliche Nebenpflicht iSd § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB darstellen kann, wenn eine Partei, eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt (BAG 07.02.2019 – 6 AZR 75/18, AP BGB § 620 Aufhebungsvertrag Nr. 50).
Gericht:
BAG
Aktenzeichen:
6 AZR 333/21
Datum der Entscheidung:
24. Februar 2022