BAG: Anforderungen an ein Arbeitszeugnis

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, welche Anforderungen an den Inhalt und die Form eines Arbeitszeugnisses zu stellen sind. Folgender Sachverhalt liegt der Entscheidung des BAG zugrunde:  

Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin seit dem 01.09.2008 als Elektriker beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers zum 30.06.2018. Unter diesem Datum erteilte die Arbeitgeberin ein Arbeitszeugnis, über dessen Inhalt und Form die Parteien in der Folge stritten. Das Zeugnis war in Tabellenform verfasst. Die ausgeübten Tätigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers sowie dessen Verhaltensweisen waren stichpunktartig auflistet und jeweils mit einem Wort nach Schulnoten („sehr gut“, „gut“, „befriedigend“ und „ausreichend“) bewertet. 

Der Kläger hat u.a. die Auffassung vertreten, die Beklagte habe seinen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses nicht ordnungsgemäß erfüllt. Die mit „Aufgabenstellung“ überschriebene Tätigkeit sei aus sich heraus nicht verständlich. Die tabellarische Darstellung der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung nach stichwortartigen, mit „Schulnoten“ versehenen Bewertungskriterien sei unüblich und könne deshalb einen negativen Eindruck hervorrufen.  

Der neunte Senat des BAG hat mit Urteil vom 27.04.2021 entschieden, dass die beklagte Arbeitgeberin ihre Verpflichtung zur Erteilung eines schriftlichen qualifizierten Arbeitszeugnisses vorliegend nicht erfüllt habe. 

Die Vorschrift des § 109 GewO ist maßgeblich: 

(1) Der Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein schriftliches Zeugnis. Das Zeugnis muss mindestens Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis (qualifiziertes Zeugnis) erstrecken. 

(2)  Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen. 

(3)  Die Erteilung des Zeugnisses in elektronischer Form ist ausgeschlossen. 

Der Arbeitgeber erfüllt danach den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach § 109 GewO durch Erteilung eines Zeugnisses, das nach Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Ihm obliegt es grundsätzlich, das Zeugnis im Einzelnen zu verfassen. Formulierungen und Ausdrucksweise stehen in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Maßstab ist dabei ein wohlwollender verständiger Arbeitgeber. Er hat insoweit einen Beurteilungsspielraum. 

Ein qualifiziertes Zeugnis enthält gemäß § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO Angaben über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers. Es dient dem Arbeitnehmer regelmäßig als Bewerbungsunterlage und dadurch Dritten, insbesondere möglichen künftigen Arbeitgebern, als Grundlage für die Personalauswahl. Dem Arbeitnehmer gibt es zugleich Aufschluss darüber, wie der Arbeitgeber sein Verhalten und seine Leistung beurteilt. Daraus ergeben sich als inhaltliche Anforderungen das Gebot der Zeugniswahrheit und das in § 109 Abs. 2 GewO auch ausdrücklich normierte Gebot der Zeugnisklarheit. Auch seiner  äußeren Form nach muss ein Zeugnis den Anforderungen entsprechen, wie sie im Geschäftsleben an ein Arbeitszeugnis gestellt und vom Leser als selbstverständlich erwartet werden. Zur Beurteilung von Inhalt und äußerer Form des Zeugnisses ist dabei auf die Sicht eines objektiven und damit unbefangenen Arbeitgebers mit Berufs- und Branchenkenntnissen abzustellen. Entscheidend ist, wie ein solcher Zeugnisleser das Zeugnis auffassen muss. 

Mit der im Arbeitszeugnis vom 30.06.2018 vorgenommenen Leistungs- und Verhaltensbeurteilung habe die Beklagte ihren Beurteilungsspielraum überschritten. Die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung des Klägers in Form einer tabellarischen Darstellung und Bewertung stichwortartig beschriebener Tätigkeiten nach Schulnoten genüge den Anforderungen eines qualifizierten Zeugnisses nach § 109 GewO nicht. Das qualifizierte Arbeitszeugnis ist ein individuell auf den einzelnen Arbeitnehmer zugeschnittenes Arbeitspapier, das dessen persönliche Leistung und sein Verhalten im Arbeitsverhältnis dokumentieren soll. Es stellt mithin eine individuell an den einzelnen Arbeitnehmer angepasste Beurteilung dar. Diesen Anforderungen werde regelmäßig nur ein individuell abgefasster Text gerecht. Der verständige Zeugnisleser erwarte, dass das Zeugnis eine Gewichtung der Leistungen und Eigenschaften enthält. Erst diese verleiht dem Zeugnis die Aussagekraft, die für die Erreichung des Zeugniszwecks notwendig ist. Für den Zeugnisleser ist es von hohem Interesse, welche Einzelmerkmale für das konkrete Arbeitsverhältnis von besonderer Bedeutung waren und über welche besonderen Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeitnehmer verfügt. Anhand dieser Angaben kann er erkennen, ob die durch das Zeugnis beurteilte Person über die erforderliche Qualifikation und Eignung für den von ihm zu besetzenden Arbeitsplatz verfügt. Ein Zeugnis, in dem – wie vorliegend – eine Vielzahl einzelner Bewertungskriterien gleichrangig nebeneinander aufgeführt und mit Schulnoten bewertet wird, verfüge nicht über den erforderlichen Informationswert. Die prägenden Merkmale verlieren im Kontext der übrigen Bewertungskriterien ihre Bedeutung. Besondere Eigenschaften, Kenntnisse oder Fähigkeiten, die den Arbeitnehmer für neue Arbeitgeber interessant machen könnten, lassen sich daraus nicht ableiten. Das Zeugnis entfaltet in dieser Form nur geringe Aussagekraft. Es bleibe der Interpretation des Zeugnislesers überlassen, welche Aspekte im Arbeitsverhältnis einen besonderen Stellenwert gehabt haben könnten. Die formal an ein Schulzeugnis angelehnte tabellarische Darstellungsform erwecke den unzutreffenden Eindruck einer besonders differenzierten, präzisen und objektiven Beurteilung. Ein solches Zeugnis bringe die besonderen Anforderungen und Verhältnisse des Betriebs und der individuellen Funktion des Arbeitnehmers innerhalb der vom Arbeitgeber gestalteten Organisationsstruktur allerdings nicht hinreichend zum Ausdruck. Individuelle Hervorhebungen und Differenzierungen lassen sich regelmäßig nur durch ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen. Nur dann sind sie geeignet, die besonderen Nuancen des beendeten Arbeitsverhältnisses darzustellen und damit den Zeugniszweck als aussagekräftige Bewerbungsunterlage in Bezug auf seine konkrete Person zu erfüllen. Dies gelte unabhängig davon, ob heute noch regelmäßig ein Zeugnis im Fließtext erwartet werde oder im Geschäftsleben üblich ist. 

 

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern kommt es auch in der Praxis regelmäßig zu Streitigkeiten über erteilte Arbeitszeugnisse. Neben den formalen Anforderungen bestehen überwiegend unterschiedliche Auffassungen über die vorgenommene Leistungs- und Verhaltensbewertung. Hier gilt im Grundsatz das Folgende:  

Soweit Beschäftigte die Erteilung eines Zeugnisses mit einer überdurchschnittlichen Leistungs- und Verhaltensbeurteilung geltend machen, sind diese auch zur Darlegung eines solchen Anspruchs begründender Umstände, mithin einer überdurchschnittlichen Bewertung entsprechender Leistung verpflichtet. § 109 GewO begründet keinen Anspruch auf ein „gutes“ oder „sehr gutes“ Zeugnis, sondern lediglich auf ein leistungsgerechtes Zeugnis. Erst wenn die oder der Beschäftigte dargelegt hat, leistungsgerecht sei ausschließlich eine überdurchschnittliche Beurteilung, hat der Arbeitgeber die Tatsachen vorzutragen, die dem entgegenstehen sollen. Dies gilt im umgekehrten Fall auch für den Arbeitgeber. Dieser muss mit entsprechendem Tatsachenvortrag beweisen, aus welchem Grund ein leistungsgerechtes Zeugnis einer unterdurchschnittlichen Bewertung („ausreichend“, „mangelhaft“ oder „ungenügend“) entsprechen soll.  

 

 

 

Gericht: 

BAG 

Datum der Entscheidung 

27.04.2021 

Aktenzeichen 

 AZR 262/20