BAG: Annahmeverzugslohn und Pflicht zur Arbeitslosmeldung
Die Parteien streiten in der Revision insbesondere noch über Vergütung wegen Annahmeverzugs.
Der Kläger ist bei der beklagten Arbeitgeberin seit November 2014 in leitender Position tätig. Zuletzt belief sich sein Bruttomonatsgehalt auf 11.848,00 Euro brutto zzgl. einer Kontoführungsgebühr. Mit Schreiben vom 5. März 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. Dezember 2019. Der Kläger meldete sich in der Folge nicht arbeitsuchend und bezog keine Leistungen der Agentur für Arbeit. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat im vorliegenden Rechtsstreit mit Urteil vom 18. November 2020 rechtskräftig entschieden, dass die Kündigungen vom 5. März 2019 unwirksam sind.
Zuletzt hatte der Kläger für die Zeit vom Zugang der Kündigung bis zum 30. April 2020 Vergütung wegen Annahmeverzugs in Höhe von 163.067,69 Euro brutto verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, die Annahmeverzugsforderung bestehe uneingeschränkt. Anderweitigen Verdienst habe er nicht im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassen. Es bestehe keine Obliegenheit des Arbeitnehmers, die Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen. Die Arbeitgeberin habe ihn zudem nicht über seine Pflicht zur Arbeitslosmeldung informiert und damit ihrerseits eine sozialrechtliche Verpflichtung verletzt. Schließlich würden Positionen wie seine als Experte im öffentlichen Auftragswesen für Rüstungsgüter nicht über die Agentur für Arbeit vermittelt, sondern nur durch private Personalvermittler. Ein branchenfremder Wechsel sei nahezu ausgeschlossen. Der Kläger hat behauptet, dass er sich selbst auf verschiedenen Wegen um andere Stellen bemüht habe.
Die Beklagte vertritt hingegen die Ansicht, die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht sei auch für den Annahmeverzug von Bedeutung. Sie indiziere die Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG. Da die Agentur für Arbeit eine speziell auf Managerpositionen zugeschnittene Vermittlung anbiete, sei davon auszugehen, dass sie auch dem Kläger eine entsprechende Position mit vergleichbarer Vergütung hätte vermitteln können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten, die auf den Zahlungsantrag beschränkt war, hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Das BAG hat im Ergebnis die Revision des Klägers als begründet angesehen und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurückverwiesen.
Das LAG sei zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des Annahmeverzugs ab dem Zugang der Kündigung vom 5. März 2019 erfüllt seien. Die Beklagte habe den Kläger im Streitzeitraum nicht beschäftigt und befand sich aufgrund ihrer unwirksamen Arbeitgeberkündigung im Annahmeverzug, ohne dass ein Angebot der Arbeitsleistung erforderlich gewesen wäre. Da im Streitzeitraum nach der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Arbeitsgerichts das Arbeitsverhältnis fortbestanden habe, richte sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG und nicht nach dem weitgehend inhaltsgleichen § 615 Satz 2 BGB. Auch dies habe das LAG zutreffend erkannt.
§ 11 Nr. 2 KSchG bestimme, dass sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.
Ein Arbeitnehmer unterlasse böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Maßgebend seien, so das BAG, dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls.
Das LAG hatte die Ansicht vertreten, schon das Unterlassen der Meldung als arbeitsuchend allein erfülle das Merkmal böswilligen Unterlassens im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG, was wiederum unmittelbar zu einer Anrechnung hypothetischen Verdienstes in voller Höhe der Klageforderung führe. Das LAG lege damit den Fokus primär auf die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht aus § 38 Abs. 1 SGB III und setze damit einen Aspekt weitgehend losgelöst von den sonstigen Umständen des Einzelfalls gleichsam absolut. Ein solches Verständnis widerspreche dem Grundsatz, wonach stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmen sei.
Dies führe zur Zurückverweisung der Sache. Das LAG wird im fortgesetzten Berufungsverfahren zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger im Streitzeitraum durch die Verletzung der sozialrechtlichen Meldepflicht böswillig handelte, die erforderliche umfassende Gesamtabwägung – ggf. nach Aufklärung streitig gebliebenen Sachvortrags der Parteien – nachzuholen haben.
Die Verletzung der in § 38 Abs. 1 SGB III geregelten Pflicht, sich innerhalb von drei Tagen nach Erhalt einer außerordentlichen Kündigung bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, habe dabei im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug Beachtung zu finden, denn der Arbeitnehmer darf nach § 11 Nr. 2 KSchG nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten werde. Dies betreffe auch die Fälle, in denen sich der Arbeitnehmer typischen Informationsangeboten – etwa denen der Agentur für Arbeit und der Jobcenter – verschließe, auch wenn er noch keine konkreten Stellenangebote vor Augen hat.
Neben dem Verstoß des Klägers gegen seine sozialversicherungsrechtliche Meldepflicht sind bei der Beurteilung etwaiger Böswilligkeit allerdings noch weitere tatsächliche Umstände des Falls zu berücksichtigen.
So könne gerade im vorliegenden Fall eines Arbeitnehmers in leitender Position etwaigen eigenen Bemühungen des Klägers um eine anderweitige Tätigkeit eine erhebliche Bedeutung zukommen, wobei deren Umfang und Einzelheiten nach entsprechendem Sachvortrag ggf. näher aufzuklären sein werden. Als Aspekte einer Gesamtabwägung aller Umstände des konkreten Falls können auch die diversen arbeitsrechtlichen Streitigkeiten der Parteien mit den bereits vorangegangenen unwirksamen und zurückgenommenen Kündigungen zu berücksichtigen sein. Entsprechendes gelte für den Verstoß der Beklagten gegen ihre sozialrechtliche Verpflichtung zur Information aus § 2 Abs. Nr. 3 SGB III, auch wenn dieser nicht kausal dafür war, dass der Kläger seiner Meldepflicht nicht nachkam. Entscheidend für das Gewicht dieses Aspekts wird sein, weshalb die Beklagte den in leitender Position tätigen Kläger nicht auf seine sozialrechtliche Meldepflicht hingewiesen hat. Selbst wenn unter Berücksichtigung aller Umstände böswilliges Verhalten des Klägers vorgelegen haben sollte, sei hinsichtlich einer Anrechnung hypothetischen Verdienstes näher aufzuklären, ob die Agentur für Arbeit im Streitzeitraum zumutbare Vermittlungsangebote überhaupt unterbreitet hätte und ob – falls dies der Fall gewesen wäre – eine Bewerbung des Klägers erfolgreich gewesen wäre sowie welchen Verdienst er im Rahmen der angenommenen Beschäftigungsmöglichkeit ab welchem Zeitpunkt hätte erzielen können. Hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem eine Anrechnung erfolgen könnte, sei zu klären, ab wann für den Kläger die Möglichkeit hypothetischen Verdienstes bestanden hätte. Denn auch bei einer unterstellten Erfüllung der Meldepflicht gilt hierfür bei einer fristlosen Kündigung immerhin eine Frist von drei Tagen. Es erscheine daher auch wenig wahrscheinlich, dass bei einer fristlosen Kündigung, die – wie hier – gegen Anfang eines Monats ausgesprochen wurde, eine erfolgreiche Vermittlung für einen in leitender Position tätigen Arbeitnehmer unmittelbar am Tag nach dem Zugang der Kündigung hätte erfolgen können.
Eine entsprechende Gesamtabwägung mit ggf. durchzuführender weiterer Sachverhaltsaufklärung wird, so das BAG, durch das LAG nochmals durchzuführen sein, weshalb eine Zurückverweisung an dieses erfolge.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
Die vorliegende Entscheidung und deren Begründung durch das BAG zeigen auf, wie komplex im Einzelfall die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung eines Annahmeverzugslohns ausgestaltet sein können. Betroffene Arbeitnehmer sollten daher bereits im laufenden Kündigungsschutzverfahren sowohl ihrer Pflicht zur Arbeitslosmeldung nachkommen – unabhängig davon, ob sie beabsichtigen, Arbeitslosengeld überhaupt in Anspruch zu nehmen – als auch eigene Bemühungen um eine anderweitige Tätigkeit anstrengen und diese nachvollziehbar dokumentieren.
Gericht:
BAG
Aktenzeichen:
5 AZR 30/22
Datum der Entscheidung:
12.10.2022