BAG: Anrechnung fiktiver ungekürzter Rente bei RWE-Ruhegeldempfängern


Der am 13.06.1945 geborene Kläger war vom 01.01.1982 bis zum 29.02.2004 in seinem Arbeitsverhältnis tätig. Seit dem 01.07.2005 erhält der Kläger Leistungen aufgrund der Ruhgeldrichtlinien vom 09.02.1989 der RWE AG.
Die vom Kläger zu beanspruchende gesetzliche Rente beläuft sich aufgrund der gesetzlichen Abschläge auf 1.420,94 €. Ohne die gesetzlichen Abschläge würde sich die Rente des Klägers auf 1.732,86 € monatlich belaufen. Bei der Berechnung des betrieblichen Ruhegeldes hatte die Arbeitgeberin aber nicht die Hälfte der tatsächlich gezahlten Rente, sondern die Hälfte der ungekürzten Rente, mithin also 866,43 € angerechnet. Dagegen wehrt sich der Kläger und will festgestellt wissen, dass die Beklagte seiner Ruhegeldberechnung nur 50% der tatsächlich gezahlten gesetzlichen Rente zugrunde legen darf.

Nachdem das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht antragsgemäß zugunsten des Klägers entschieden hatten, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nunmehr die Revision der Beklagten stattgegeben.

Nach Auffassung des BAG ist die Klage unbegründet. Der Ruhegeldberechnung sei nicht die tatsächlich gezahlte, sondern die fiktive, abschlagsfreie Rente zugrunde zu legen. Das ergebe sich aus der Bestimmung von § 7 Abs. 2 der Richtlinie vom 09.02.1989. § 7 der Richtlinien hat folgenden Wortlaut:

§ 7 Minderung der gesetzlichen Renten

(1) Wenn sich die betrieblichen Ruhegeldleistungen aufgrund einer Verminderung des allgemeinen Rentenniveaus durch Änderungen in der Rentenformel (z.B. durch Änderungen der allgemeinen oder persönlichen Bemessungsgrundlage, der Steigerungssätze, der Bewertung von Zeiten u.a.) erhöhen, werden die Vertragspartner in Verhandlungen mit dem Ziel eintreten, eine Einigung darüber herbeizuführen, ob und in welchem Umfang die Minderung des Rentenniveaus auszugleichen ist. Dem Gesamtbetriebsrat werden die entsprechenden Informationen rechtzeitig zur Verfügung gestellt. Sollte eine Einigung der Vertragspartner innerhalb einer Frist von vier Monaten seit Beginn der Verhandlungen nicht erzielt worden sein, werden die Vertragspartner eine freiwillige Einigungsstelle einberufen, deren Spruch sie sich im voraus unterwerfen.

(2) Eine Kürzung der Sozialversicherungsrente des Mitarbeiters um Abschläge, die aufgrund vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand wegen der längeren Bezugsdauer der gesetzlichen Rente erfolgen, wird durch das Unternehmen nicht ausgeglichen und geht daher voll zu Lasten des Mitarbeiters.

Die Richtlinien vom 09.02.1089 seien als Betriebsvereinbarungen wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Deshalb sei bei der Auslegung vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn auszugehen. Der wirkliche Wille und der von den Betriebsparteien verfolgte Zweck seien zu berücksichtigen, soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen sei ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Auf die Entstehungsgeschichte der Norm können aber nur dann zurückgegriffen werden, wenn nach Wortlaut, Wortsinn und Gesamtzusammenhang der Betriebsvereinbarung Zweifel an dem Inhalt und dem wirklichen Willen der Betriebsparteien bestünden.

Bereits der Wortlaut von § 7 Abs. 2 spreche dafür, dass nicht die tatsächlich gezahlte, sondern die ungekürzte Rente der Ruhegeldberechnung zugrunde zu legen sei.

Zwar sei die Formulierung, nach der Abschläge aufgrund vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand wegen längerer Bezugsdauer der gesetzlichen Rente durch das Unternehmen nicht ausgeglichen würden, für sich genommen nicht eindeutig. Diese Formulierung könne so verstanden werden könne, dass eine Kürzung der gesetzlichen Rente keine zusätzlichen Ansprüche des Arbeitnehmers zur Folge haben solle. Möglich sei aber auch eine Auslegung dahingehend, dass eine solche Kürzung der gesetzlichen Rente nicht zu erhöhten Leistungen des Arbeitgebers führen solle, im Ergebnis also die ungekürzte gesetzliche Rente zu berücksichtigen sei.

Für das letztgenannte Verständnis spreche die in § 7 Abs. 2 enthaltene Formulierung, wonach Abschläge „voll zu Lasten des Mitarbeiters“ gehen. Das könne, so führte das BAG weiter aus, “nur erreicht werden, wenn die abschlagsfreie gesetzliche Rente berücksichtigt wird”.

Das BAG sieht in der Systematik der Betriebsvereinbarung einen weiteren Grund für sein Ergebnis. Da ein Anspruch auf Ausgleich von Nachteilen durch mögliche Kürzungen der gesetzlichen Rente in der Versorgungsordnung nicht vorgesehen sei, bedürfe es der Regelung von § 7 Abs. 2 nicht, um diesen auszuschließen.

Die Bestimmung von § 7 Abs. 2 stelle auch nicht lediglich eine Ausnahmeregelung zu der in § 7 Abs. 1 enthaltenen Verhandlungspflicht dar. Aus der Präambel der Richtlinien ergebe sich nämlich, dass die die Verhandlungspflicht des § 7 Abs. 1 darauf ziele, im Falle einer Verschlechterung des Rentenniveaus zu klären, ob die Richtlinien vom 09.02.1989 weiter unverändert angewandt oder zu Lasten der Beschäftigten geändert werden sollten. Dazu stünde eine Verhandlungspflicht mit dem Ziel, das Leistungsniveau aus der betrieblichen Altersversorgung für die Arbeitnehmer und Versorgungsempfänger in diesem Fall zu verbessern, im Widerspruch. Deshalb könne die Bestimmung von § 7 Abs. 2 nicht als Sonderregelung zu § 7 Abs. 1 verstanden werden.

Für die Auslegung von § 7 Abs. 2 dahingehend, dass die hälftige ungekürzte gesetzliche Rente bei der Berechnung der Betriebsrente zu berücksichtigen ist, sprechen zudem die Umstände, unter denen die Richtlinien zustande kamen. Zum Zeitpunkt ihres Abschlusses seien zwar noch keine Abschläge wegen der vorgezogenen Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente vorgesehen gewesen, allerdings sei bereits absehbar gewesen, dass solche Abschläge vom Gesetzgeber geschaffen werden würden. Die Präambel der Richtlinien verdeutliche, dass diese der Grund für die Regelung in § 7 Abs. 2 gewesen sei. Dadurch habe verhindert werden sollen, dass wegen der künftigen Abschläge bei der vorgezogenen Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente eine höhere Betriebsrente zu zahlen war.

Diese Auslegung verstoße auch nicht gegen betriebsrentenrechtliche Grundsätze.

Nach den allgemeinen Grundsätzen des Betriebsrentenrechts müsse ein Arbeitnehmer, der vor Erreichen der festen Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide und die betriebliche Altersversorgung in Anspruch nehme, eine doppelte Kürzung seiner Betriebsrente hinnehmen.

Einerseits werde in das Gegenseitigkeitsverhältnis, das der Berechnung der Vollrente zugrunde liegt, dadurch eingegriffen, dass der Arbeitnehmer die Betriebszugehörigkeit nicht bis zum Zeitpunkt der festen Altersgrenze erbracht habe. Dem werde in den Richtlinien vom 09.02.1989 dadurch sich die Höhe des Ruhegeldes prozentual nach der anrechnungsfähigen Dienstzeit richtet und dieses Ruhegeld nach § 2 Abs. 1 BetrAVG – welcher durch die betrieblichen Regelungen noch leicht verbessert worden sei – zeitanteilig im Verhältnis der tatsächlichen zur möglichen Betriebszugehörigkeit gekürzt werde (m/n-tel Kürzung). Damit werde die gesetzliche Wertung bei vorzeitigem Ausscheiden von den Regelungen berücksichtigt.

Zum anderen ergebe sich eine Verschiebung des in der Versorgungsordnung festgelegten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung daraus, dass der Kläger die erdiente Betriebsrente früher und deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit länger als mit der Versorgungszusage versprochen in Anspruch nimmt. Während das BAG diesbezüglich in seiner Rechtsprechung einen weiteren versichrungsmathematischen Abschlag in Höhe von 0,5% für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme gebilligt habe, sei die Regelung der Richtlinien höchst moderat, weil zu Lasten des Versorgungsempfängers lediglich die Hälfte eines Abschlags von 0,3 % pro Monat von der gesetzlichen Rente berücksichtigt werde. (BAG v. 30.11.2010 – 3 ARZ 476/09)

Aktenzeichen:

3 AZR 476/09

3 ARZ 475/09

3 AZR 476/09

3 ARZ 475/09