BAG: Anspruch auf Ersatzurlaub bei Annahmeverzug im Kündigungsschutzverfahren


Die Arbeitgeberin kündigte mit Schreiben vom 30. September 2006 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und machte mit Datum vom 06. Februar 2006 seinen Urlaubsanspruch geltend. Der Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig stattgegeben. Die Parteien führten bis über das Jahr 2008 hinaus verschiedene Rechtsstreitigkeiten und das Arbeitsverhältnis bestand mindestens bis zum 31. Dezember 2008 fort. Dem Kläger wurde in dieser Zeit kein Urlaub gewährt.

Mit Schreiben vom 15. Februar 2012 stellte die Arbeitgeberin den Kläger „unter Anrechnung auf etwa noch be- und entstehende Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche“ frei und verwies dabei darauf, dass „außerhalb der für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs gewährten Freistellung § 615 Satz 2 BGB“ Anwendung finde. Eine vergleichbare Freistellungserklärung wurde von der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 30. Januar 2013 wiederholt.

Der Kläger verlangte Ersatzurlaub im Umfang von jeweils 30 Tagen für den verfallenen Urlaub aus den Jahren 2006, 2007 und 2008.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage des Klägers auf Gewährung des Ersatzurlaubes ab. Dem lag zu Grunde, dass der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Kalenderjahres, spätestens mit Ablauf des Übertragungszeitraumes (31.03. des Folgejahres) verfällt. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer rechtzeitig die Gewährung des Urlaubes verlangt hat

Das Bundesarbeitsgericht änderte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes ab und verurteilte die Arbeitgeberin zur Gewährung von jeweils 30 Tagen Ersatzurlaubes für die Jahre 2006, 2007 und 2008.

Zwar sei der ursprüngliche Urlausanspruch für diese Jahre aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen verfallen. Allerdings ist der Arbeitgeber gegenüber einem Mitarbeiter, dem er trotz rechtzeitigen Urlaubsantrages keinen Urlaub gewährte, zum Schadensersatz verpflichtet. Im Wege der „Naturalrestitution“ hat der betroffene Mitarbeiter damit Anspruch auf Gewährung eines Ersatzurlaubes in der Höhe des trotz rechtzeitigem Urlaubverlangens gewährten Urlaubsanspruches.

Dazu bedarf es jedoch des Vorliegens eines Verzuges des Arbeitgebers mit der Urlaubsgewährung. Verzug tritt in solchen Fällen nicht von alleine ein, sondern im Regelfall nur dann, wenn der Schuldner des Urlaubsanspruches, also der Arbeitgeber, vom Mitarbeiter gemahnt wurde. Eine solche Mahnung lag in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall nicht vor. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes bedurfte es einer solchen Mahnung aber in diesem besonderen Fall nicht, weil die Arbeitgeberin die Erfüllung des vom Kläger in seiner Klageschrift vom 06. Februar 2006 geltend gemachten Urlaubsanspruches „ernsthaft und endgültig verweigerte“.

Diese „Erfüllungsverweigerung“ sei nicht schon im Ausspruch der Kündigung zu erkennen. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses streiten und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber erfolglos aufgefordert hat, ihm während des Kündigungsrechtsstreites Urlaub zu gewähren, liegt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts aber dann eine „endgültige Erfüllungsverweigerung“ vor, wenn der Arbeitgeber den Urlaub trotz einer entsprechenden Aufforderung des Arbeitnehmers nicht gewährt. Eine nochmalige Mahnung des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer erwiese sich nach Überzeugung des Bundesarbeitsgerichtes in einem solchen Fall „als eine bloße Förmelei“.

Da die Arbeitgeberin den Urlaubsanspruch des Klägers trotz Aufforderung nicht erfüllte, geriet sie in Verzug mit der Gewährung des Urlaubsanspruches, ohne dass es einer Abmahnung bedurft hätte. Der Kläger hatte deshalb Anspruch auf Gewährung von jeweils 30 Tagen Ersatzurlaubes für die Jahre 2006 bis 2008.

Dieser Anspruch ist durch die von der Arbeitgeberin erklärte Freistellung nicht untergegangen. Zwar hatte die Arbeitgeberin den Kläger ausdrücklich „unter Anrechnung auf etwa noch be- und entstehende Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche“ freigestellt. Das reiche jedoch für eine ordnungsgemäße Urlaubsgewährung nicht aus. Erforderlich sei bereits, dass die Freistellungserklärungen erkennen ließen, an welchen Tagen die Arbeitgeberin den Kläger zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub und an welchen Tagen sie ihn zu anderen Zwecken von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellte. Eine solche Differenzierung sei erforderlich, weil die Freistellung des Klägers zu anderen Zwecken ausdrücklich unter Anrechnung des Zwischenverdienstes (§ 615 Satz 2 BGB) erfolgt sei. (BAG vom 14.05.2013, 9 AZR 760/11).

Hinweise von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto: Diese Entscheidung weist auf eine Schwachstelle in vielen Kündigungsschutzprozessen. Zunächst stellt das Bundesarbeitsgericht klar, dass ein Urlaubsanspruch eines Mitarbeiters auch während eines laufenden Kündigungsrechtsstreites entstehen kann. Fordert der Arbeitnehmer den Arbeitgeber während eines solchen Kündigungsrechtsstreites zur Gewährung von Urlaub auf, so wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen auch später noch zu erfüllenden Ersatzurlaubsanspruch, wenn der Arbeitgeber den Urlaub nicht innerhalb des Urlaubsjahres gewährt.

Ein solcher Urlaubs- oder Ersatzurlaubsanspruch wird durch die in vielen Fällen übliche Handhabung, nach der ein Arbeitnehmer „unter Anrechnung seines Urlaubsanspruches“ von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung im Kündigungsschutzverfahren freigestellt wird, nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes nicht immer erfüllt. Jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer sich einen während der Freistellung durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erzielten Zwischenverdienst auf sein Arbeitsentgelt anrechnen lassen muss, ist es nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zu einer wirksamen Urlaubsgewährung erforderlich, dass dem Mitarbeiter unmissverständlich mitgeteilt wird, an welchen Tagen er zum Zwecke der Urlaubsgewährung und an welchen Tagen er aus anderen Gründen freigestellt wird.

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes lag eine Konstellation zu Grunde, bei der die Arbeitgeberin bei der Freistellung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass ein solcher Zwischenverdienst angerechnet wird. Nach verbreiteter Auffassung soll die Anrechnung des Zwischenverdienstes aber in allen Fällen vorzunehmen sein, in denen der Arbeitgeber bei einer Freistellung nicht ausdrücklich auf die Anrechnung des Zwischenverdienstes verzichtet hat. Damit gewinnt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes über die sehr spezielle Fallgestaltung hinaus Bedeutung für alle Fälle einer längerfristigen Freistellung während eines Kündigungsrechtsstreites.

Aktenzeichen:

9 AZR 760/11