BAG: Anwendungsbereich des Heimarbeitsgesetzes kann auch qualifizierte Tätigkeiten wie die Programmierung von EDV-Programmen umfassen
Der Begriff des Heimarbeiters im Sinne von § 2 Abs. 1 Heimarbeitsgesetz, und damit der Anwendungsbereich des Heimarbeitsgesetzes, ist nicht auf einfache Tätigkeiten beschränkt, sondern kann auch qualifizierte Tätigkeiten wie die Programmierung von EDV-Programmen umfassen.
Der Kläger war von Mai 1989 bis Juli 1992 aufgrund eines schriftlichen Anstellungsvertrages als Bauingenieur/Programmierer bei der Beklagten beschäftigt. Ihm oblag die Pflege und Weiterentwicklung der von der Beklagten vertriebenen Statik-Software. Veranlasst durch einen Umzug beendete der Kläger das Anstellungsverhältnis mit der Beklagten durch Eigenkündigung mit Wirkung zum 1. Juli 1992 und bekundete Interesse an einer weiteren Beschäftigung als freier Mitarbeiter für die Beklagte. In der Folgezeit setzten die Parteien ihre Zusammenarbeit als freies Mitarbeiterverhältnis fort, wobei sie keinen schriftlichen Vertrag schlossen.
Mit Schreiben vom 12. August 2013 informierte die Beklagte den Kläger über den Beschluss der Gesellschafterversammlung, das Unternehmen mit Ablauf des 31. Dezember 2013 aufzulösen, zu liquidieren und den Betrieb zu diesem Zeitpunkt stillzulegen. Für ihn als langjährigen „Subunternehmer“ bedeute dies, dass er zukünftig keine neuen Aufträge mehr erhalten werde.
Der Kläger begehrte bei Gericht sinngemäß u.a. die Feststellung, dass zwischen ihm und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis, zumindest jedenfalls ein Heimarbeitsverhältnis im Sinne von § 2 Abs. 1 Heimarbeitsgesetz besteht und dieses durch das Schreiben der Beklagten vom 12. August 2013 nicht beendet worden sei. Zur Begründung führte der Kläger u.a. an, er habe außer der Beklagten keine weiteren „Auftraggeber“ gehabt, sei zeitlich voll ausgelastet und in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingegliedert gewesen.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. Juni 2016 – 9 AZR 305/15 (LAG Hessen, Urteil vom 13.03.2015 – 10 Sa 575/14) festgestellt, dass es sich bei dem Vertragsverhältnis der Parteien um ein Heimarbeitsverhältnis handele, welches zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht beendet gewesen sei.
Mit dieser Entscheidung beantwortet das Bundesarbeitsgericht die bislang kontrovers diskutierte Frage, ob der Anwendungsbereich des Heimarbeitsgesetzes auf einfache Tätigkeiten zu beschränken oder auf teils hoch qualifizierte Tätigkeiten wie die Durchführung von Programmiertätigkeiten zu erstrecken sei. Bereits in 1974 wurde durch das Heimarbeitsänderungsgesetz vom 29. Oktober 1974 (BGBl. I, 2879) das Merkmal „gewerblich“ durch „erwerbsmäßig“ ersetzt, um klarzustellen, dass auch Angestelltentätigkeiten wie einfache „Büroheimarbeiten“ dem Schutzbereich des Heimarbeitsgesetzes unterfallen können. In seiner aktuellen Entscheidung aus dem Jahr 2016 führt das Bundesarbeitsgericht nunmehr konsequent und zutreffend aus, dass weder dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien eine Beschränkung auf einfache Angestelltentätigkeiten oder die Feststellung einer nach der Verkehrsanschauung bestehenden Schutzbedürftigkeit zu entnehmen sei.
Hinweise von Rechtsanwältin Dr. Astrid Siebert:
Die fortschreitende Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt. Sie ermöglicht oft hoch qualifizierten Spezialisten wie z.B. Programmierern, Controllern, u.a. Ort und Zeit ihrer Arbeitsleistung weitestgehend frei zu gestalten und von zu Hause oder von unterwegs zu arbeiten. Dies führt bereits jetzt dazu, dass verstärkt alternative Formen der Zusammenarbeit im Arbeitsleben auftreten, die teilweise keine, eine nicht aussagekräftige oder eine fehlerhafte Etikettierung tragen. So trug das Vertragsverhältnis in dem vorliegenden Sachverhalt das Etikett „freie Mitarbeit“, welches das Bundesarbeitsgericht letztlich als Heimarbeitsverhältnis klassifizierte und damit dem Schutzbereich des Heimarbeitsgesetzes unterstellte. Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Erstreckung des Schutzbereichs auf qualifizierte Tätigkeiten zeigt mithin, dass bereits vorhandene Regelungen Lösungsansätze für aktuelle Herausforderungen und Probleme bieten können. Vertragsverhältnisse, die keine Arbeitsverhältnisse im klassischen Sinne sind, jedoch Parallelen zu einem solchen aufweisen, sollten im Hinblick auf ihre „Etikettierung“ überprüft werden, um am Ende unangenehme Überraschungen auf beiden Seiten zu vermeiden.
Gericht:
BAG
Datum:
14.06.2016
Aktenzeichen:
9 AZR 305/15