BAG: Arbeitnehmer Vorsicht: Lohnzahlung über das Konto eines Schwesterunternehmens der Arbeitgeberin kann zur Insolvenzanfechtung führen
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in seiner Entscheidung vom 21.11.2013 mit einem Fall zu befassen, in dem ein Arbeitnehmer vor der Insolvenz seiner Arbeitgeberin eine Reihe von Lohnzahlungen nicht (mehr) von der Arbeitgeberin direkt, sondern vielmehr von deren Schwesterunternehmen erhielt.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin
machte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Arbeitnehmer im Wege der sog. Insolvenzanfechtung einen Anspruch auf Rückzahlung von Gehaltszahlungen aus dem Zeitraum ab 3 Monate vor Eröffnungsantrag geltend.
Der Insolvenzverwalter stützte sein Vorgehen auf eine Insolvenzanfechtung wegen „inkongruenter Deckung“.
Insoweit sei zur Erläuterung mitgeteilt, dass die InsO zahlreiche sog. Anfechtungstatbestände enthält (§§ 129 ff. InsO). Diese berechtigten den Insolvenzverwalter – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – Leistungen des Insolvenzschuldners (hier also der insolventen Arbeitgeberin) zurückzufordern. Ziel ist es, dass durch diese Rückzahlungen solche Mittel wieder der Insolvenzmasse zugeführt werden, die unter – verkürzt formuliert: – "verdächtigen" Umständen aus der Insolvenzmasse abgeflossen wird.
Im Sprachgebrauch der InsO bezeichnet man den entsprechenden Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr als sog. Insolvenzanfechtung.
§ 131 InsO regelt dabei die Voraussetzungen der sog. Anfechtung wegen "inkongruenter Deckung". Unter inkongruent versteht das Gesetz, dass der Insolvenzgläubiger (hier der Arbeitnehmer) eine Leistung erhalten hat, die er "nicht oder nicht in dieser Art oder nicht zu dieser Zeit" beanspruchen durfte.
Wenn nun diese Leistung im zeitlichen Nahbereich zum Antrag auf Insolvenzeröffnung erfolgte und
– die Handlung des Insolvenzschuldners im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO),
– die Handlung des Insolvenzschuldners innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO) oder
– die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und dem Gläubiger zur Zeit der Handlung bekannt war, dass sie die Insolvenzgläubiger benachteiligte (§ 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO)
kommt eine Rückforderung in Betracht.
Das BAG bejahte nun im vorliegenden Fall eine "inkongruente" Deckung:
Denn der Arbeitnehmer habe im konkreten Falle die Zahlung nicht in der "gewöhnlichen" Art, also über das "Firmenkonto" des Arbeitgebers, sondern auf einem abweichenden (inkongruenten) Weg, eben über das Konto eines Schwesterunternehmens erhalten.
Anders als das Landesarbeitsgericht folgte das BAG auch nicht der Argumentation des Arbeitnehmers, dass die Zahlungen bei den beiden Schwesterunternehmen „aus einem Topf“ kämen. Insoweit hatte das LAG maßgeblich darauf abgestellt, dass im vorliegenden Falle beide Unternehmen von ein und derselben Person wirtschaftlich einheitlich geführt wurden, da der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer beider Unternehmen identisch war.
Das BAG verwies dagegen darauf, dass das deutsche Insolvenzverfahren rechtsträgerbezogen ausgestaltet sei. Es gelte der Grundsatz: „ein Rechtsträger – eine Masse“. Daher seien auch anfechtungsrechtlich die Vermögensmassen der beiden Schwesterunternehmen sorgfältig zu trennen.
Im Ergebnis konnte das BAG den Fall aber nicht abschließend entscheiden, da es an Feststellungen der Vorinstanz zum Vorliegen der für alle Insolvenztatbestände erforderlichen Gläubigerbenachteiligung sowie zur Zahlungsunfähigkeit fehle (BAG, Urt. v. 21.11.2013, Az. 6 AZR 159/12).
Hinweise von Rechtsanwalt Michael Kügler:
Die Entscheidung überrascht den unbefangenen Betrachter zunächst: Da erhält ein Arbeitnehmer seine Lohnzahlungen gar nicht (direkt) aus der späteren Insolvenzmasse, sondern von einem gesonderten Vermögensträger und soll trotzdem zur Rückzahlung an die Insolvenzmasse verpflichtet sein?
Müsste der Arbeitnehmer nicht einwenden können, dass er seine Lohnzahlungen eben gar nicht aus der späteren Insolvenzmasse erhalten hat, die Insolvenzmasse also gar nicht geschmälert sein kann?
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt es hierauf nicht an. Denn der Rückgewährsanspruch des Insolvenzverwalters erfordere nicht, dass die zurückzugewährenden Werte unmittelbar aus dem Vermögen des Schuldners stammen. Anfechtbar könnten nämlich auch solche Rechtshandlungen des Schuldners sein, durch die er Vermögensbestandteile unter Einschaltung einer Mittelsperson an den gewünschten Empfänger verschiebt, ohne notwendigerweise mit diesem äußerlich in unmittelbare Rechtsbeziehungen zu treten (mittelbare Zuwendungen).
6 AZR 159/12
6 AZR 159/12