BAG: Auswirkungen der Veränderungssperre auf Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit

Die Beklagte produziert in ihrem Betrieb in B. Hydraulikkomponenten, Getriebeelemente und Klimamodule. Sie ist „Mitglied ohne Tarifbindung“ im Verband der Metall- und Elektro-Unternehmen Hessen e.V. Der Kläger ist langjährig bei ihr und ihren Rechtsvorgängerinnen im gewerblichen Bereich tätig. In seinem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 12.12.1996–3.1.1997 ist u.a. niedergelegt, dass er „einen monatlichen Bruttomonatslohn auf der Basis von 156,60 Stunden“ erhält und er sich bereit erklärt, „in 2 bzw. 3 Schichten zu arbeiten“, wobei sich die „Arbeitszeit … nach den innerbetrieblichen Regelungen“ richtet. 

Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit dies für die Revision noch von Bedeutung war – die Zahlung von Vergütung für Überstunden in den Jahren 2014–2017 einschließlich eines Zuschlags je Stunde i.H.v. 25 %, hilfsweise hierzu die Gutschrift dieser Überstunden auf seinem Arbeitszeitkonto, ferner die Feststellung des Umfangs seiner monatlichen Arbeitszeit i.H.v. 156,60 Stunden sowie die Gewährung höherer Zuschläge für Spät-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsschichten geltend gemacht. 

Die Betriebsparteien hatten im Jahr 2003 eine Rahmenbetriebsvereinbarung (RBV) zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geschlossen, die u. a. eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden und die Einführung von Zeitkonten im gewerblichen Bereich vorsieht.  

Der Kläger ist der Auffassung, die Erhöhung der Arbeitszeit in der RBV sei wegen Verstoßes gegen § 77 III 1 BetrVG unwirksam; maßgeblich sei seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 156,60 Stunden im Monat. Die darüber hinaus erbrachten Überstunden seien – im Hinblick auf eine betriebliche Übung mit einem Zuschlag i.H.v. 25 % – zu vergüten. Zudem habe er Anspruch auf höhere Schichtzuschläge. 

Das ArbG gab der Klage in Teilen statt, die Berufung der Beklagten hiergegen hat das LAG zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die abgewiesenen Klageanträge weiter und die Beklagte mit der Anschlussrevision die vollständige Klageabweisung. 

Das BAG gibt dem Kläger Recht und spricht ihm einen Anspruch auf Vergütung von Überstunden der Jahre 2014 bis 2017 zu.  Demnach sei die Arbeitszeit weder durch die RBV noch eine Vereinbarung der Parteien erhöht worden. Insbesondere sei die Bestimmung der RBV wg. Verstoßes gegen § 77 III 1 BetrVG unwirksam. 

Insbesondere gelte nach § 612 I BGB eine Vergütung für die geleisteten Überstunden als stillschweigend vereinbart.  

Dem stehe zudem auch die bestehende betriebliche Arbeitszeitkontenregelung nicht entgegen. Da die RBV unwirksam sei und die Arbeitszeitkontenregelung unabdingbar mit der unwirksamen Regelung zur Erhöhung der Wochenarbeitszeit verbunden ist. Dies umso mehr, als in der BV zur Einführung der Arbeitszeitkonten ausdrücklich auf die RBV verwiesen werde.  

 

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Dr. Norbert Gescher:

Die Bestimmung der Reichweite der Regelungssperre des § 77 III 1 BetrVG führt immer wieder zu Abgrenzungsschwierigkeiten. Verstößt eine Betriebsvereinbarung gegen § 77 III 1 BetrVG, so besteht immer die Gefahr, dass auch mit dieser Betriebsvereinbarung aufgrund spezifischer Umstände untrennbar verknüpfte Betriebsvereinbarungen gegenstandslos werdenEine Heilung ist dann nur durch eine zulässige rückwirkende Tariföffnungsklausel möglich. 

 

 

 Gericht: 

BAG 

Aktenzeichen

1 AZR 175/20  

Datum der Entscheidung

17.08.2021