BAG: Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Will man die Frage, wann Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern grundsätzlich verfallen mit einem Blick in das Gesetz beantworten, so findet man in § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz folgende Regelung:
„Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden.“
Mit Blick auf die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann eine solche Handhabung zum grundsätzlichen Urlaubsverfall am Jahresende allerdings nicht uneingeschränkt angewendet werden. So hatte der EuGH mit Urteil vom 06.11.2018 – C 684/16 festgestellt, dass der Urlaubsanspruch des einzelnen Arbeitnehmers am Ende des Kalenderjahres nur verfallen könne, wenn der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge getragen hat, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor Ablauf des Kalenderjahres zu nehmen.
Dieser Rechtsprechung hat sich nunmehr auch das Bundesarbeitsgericht erwartungsgemäß mit Urteil vom 19.02.2019 angeschlossen.
Ausgangsstreit war die Klage eines Wissenschaftlers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin. Die Beklagte hatte den Kläger mit Schreiben vom 23.10.2013 gebeten, seinen Urlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Sie verpflichtete ihn jedoch nicht, den Urlaub zu einem bestimmten von ihr festgelegten Termin zu nehmen. Der Kläger nahm daraufhin an zwei Tagen Urlaub. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.12.2013 verlangte der Kläger, den von ihm nicht genommenen Jahresurlaub im Umfang von 51 Arbeitstagen aus den Jahren 2012 und 2013 abzugelten. Einen Antrag auf Gewährung dieses Urlaubs hatte der Kläger während des Arbeitsverhältnisses nicht gestellt.
Nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG ist es dem Arbeitgeber vorbehalten, so das Bundesarbeitsgericht, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Dabei obliegt dem Arbeitgeber unter Beachtung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) die Initiativlast für die Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Der Arbeitgeber ist daher gehalten, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun. Der Arbeitgeber hat klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.
Nur wenn der Arbeitgeber einen solchen Hinweis erteile, könne der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG auch am Ende des Kalenderjahres verfallen.
Der Urlaub erlischt damit in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Das BAG hat die Sache an das Landesarbeitsgericht München zurückverwiesen, um aufzuklären, ob die beklagte Arbeitgeberin diesen Obliegenheiten nachgekommen ist.
Der automatische Verfall von gesetzlichen Urlaubsansprüchen am Jahresende kommt im Hinblick auf das vorliegende Urteil des BAG in Zukunft nicht mehr in Betracht.
Um eine Übertragung der gesetzlichen Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern über den Jahreswechsel hinaus zu unterbinden, werden Arbeitgeber künftig wohl zu Beginn des dritten Quartals eines Jahres den aktuellen Urlaubsstand und bereits vereinbarte Urlaubszeiten ihrer Arbeitnehmer prüfen müssen, um festzustellen, in welchem Umfang der jeweilige Arbeitnehmer noch offene Urlaubsansprüche hat.
Anschließend muss der Arbeitgeber einen entsprechenden Hinweis an seine Arbeitnehmer erteilen, falls er sicherstellen möchte, dass der Urlaub verfällt. Da sich das BAG in Bezug auf den Umfang eines solchen Hinweises nicht konkret positionieren musste, ist gegenwärtig anzuraten, die Hinweise an die einzelnen Arbeitnehmer so konkret wie möglich und in einer dem Nachweis zugänglichen Form zu erteilen.
Gericht
BAG
Datum der Entscheidung
19.02.2019
Aktenzeichen
9 AZR 541/15