BAG: Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei der Vergütung

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern aufgrund einer tarifvertraglichen Bestimmung schlechter behandelt werden, wenn die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung davon abhängig gemacht werde, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, ohne zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu unterscheiden.

Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen. Der Kläger ist bei ihr als Flugzeugführer und Erster Offizier in Teilzeit beschäftigt. Seine Arbeitszeit ist auf 90% der Vollarbeitszeit verringert. Er erhält damit eine um 10% ermäßigte Grundvergütung. Nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträgen erhält ein Arbeitnehmer eine über die Grundvergütung hinausgehende Mehrflugdienststundenvergütung, wenn er eine bestimmte Zahl von Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung überschritten („ausgelöst“) hat. Die sog. Auslösegrenzen gelten einheitlich für Arbeitnehmer in Teilzeit und in Vollzeit.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten für die erbrachten Mehrflugdienststunden eine höhere als die bereits geleistete Vergütung. Er ist der Auffassung, die tariflichen Bestimmungen seien unwirksam. Sie behandelten Teilzeitbeschäftigte schlechter als Arbeitnehmer in Vollzeit. Ein sachlicher Grund bestehe dafür nicht. Die Auslösegrenzen seien entsprechend seinem Teilzeitanteil abzusenken. Die Beklagte hält die Tarifnormen für wirksam. Die Vergütung für Mehrflugdienststunden diene dazu, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen. Sie bestehe erst, wenn die tariflichen Auslösegrenzen überschritten seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts ersucht nunmehr den Gerichtshof der Europäischen Union, um Fragen nach der Auslegung der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG zu beantworten. Das BAG stellt insbesondere nachfolgende Fragen an den EuGH: Ist für die Prüfung, ob Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden, weil eine zusätzliche Vergütung davon abhängt, dass eine einheitlich geltende Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird, auf die Gesamtvergütung und nicht auf den Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen? Kann eine mögliche schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten gerechtfertigt werden, wenn mit der zusätzlichen Vergütung der Zweck verfolgt wird, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen?

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Der Beschluss des BAG (10 AZR 185/20 (A)) liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 40/20 vor. Grundsätzlich gilt gemäß § 4 Abs. 1 TzBfG, dass ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden darf als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann möglich, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Eine von diesem Grundsatz abweichende Vereinbarung ist gemäß § 22 TzBfG auch durch einen Tarifvertrag nicht zulässig. Die Antwort auf die Frage, ab wann eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegt, wirft in der Praxis häufig Schwierigkeiten auf. Jedenfalls, so das BAG in seinem Urteil vom 19.12.2018 (10 AZR 231/18), müsse auf den Sinn und Zweck der Zahlung einer zusätzlichen Vergütung abgestellt werden. In dieser Entscheidung aus dem Jahre 2018 hatte das BAG festgestellt, dass Überstundenzuschläge bereits für die zusätzlich geleistete Arbeitszeit zu zahlen sind, die über die individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Die Frage nach dem Sinn und Zweck der Mehrflugdienststundenvergütung wird daher auch im vorliegenden Verfahren beantwortet werden müssen, um eine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen Voll- und Teilzeitkräften bestätigen oder ablehnen zu können.

 

Gericht:

BAG

Datum der Entscheidung:

11.11.2020

Aktenzeichen:

10 AZR 185/20 (A)