BAG: Ergänzende Vertragsauslegung in Altfällen bei Widerruf von Zulagen möglich
Nach Auffassung des BAG können Klauseln über den Widerruf einer Zulage, die vor dem 01. Januar 2003 vereinbart wurden, und die nach derzeitigem Recht unwirksam sind, durch eine sogenannte „ergänzende Vertragsauslegung“ geheilt werden.
Der Kläger ist bei einem Verein als Tierarzt tätig. Im Jahr 1990 wurde ein vom Arbeitgeber vorformulierter Arbeitsvertrag abgeschlossen. Darin wurde die Gewährung einer widerruflichen Zulage vereinbart. Mit Schreiben vom 19.09.2007 widerrief der Arbeitgeber die Zulage zum 31.12.2007. Hiergegen richtete sich die Klage des Tierarztes.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht München hat der Klage stattgegeben. Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr die Sache an das Landesarbeitsgericht München zur weiteren Sachaufklärung über die wirtschaftlichen Gründe, die zum Widerruf der Zulage geführt haben, zurückverwiesen.
Die Klausel in dem Arbeitsvertrag war nach derzeitiger Rechtslage unwirksam, da der Widerruf einer in einer Allgemeinen Geschäftsbedingung versprochenen Leistung nicht grundlos erfolgen darf. Vielmehr müssen die Widerrufsgründe in der Vertragsklausel selbst angegeben werden. Sind derartige Angaben nicht enthalten, ist die Klausel nach §§ 308 Nr. 4, 307 BGB unwirksam. Diese Vorschriften existieren seit dem 01. Januar 2003 auch für Altverträge. Hierbei hatte der Gesetzgeber für Altverträge eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2002 eingeräumt. Für Neuverträge galten die Bestimmungen bereits seit dem 01. Januar 2002. Das BAG ist nun der Auffassung, dass zur Verhinderung einer unzulässigen Rückwirkung des geänderten Bürgerlichen Gesetzbuches und zur Schließung einer entstandenen Vertragslücke eine sogenannte „ergänzende Vertragsauslegung“ geboten sei.
(BAG, Urteil vom 20.04.2011, Az. 5 AZR 191/10)
Anmerkung: Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt üblicherweise zur Anwendung, wenn beide Seiten eines Vertrages eine Regelung im Vertrag nicht getroffen haben, über die sie aber bei Kenntnis des zugrunde liegenden Sachverhaltes beiderseitig eine entsprechende Bestimmung vereinbart hätten. Dies gilt insbesondere, wenn sich die zu Grunde liegenden rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse verändern.
Es wird in der Praxis aber äußerst schwierig werden herauszufinden, welche Widerrufsgründe ausreichend sind, um diesen Kriterien zu entsprechen. Selbst in neuen Verträgen finden sich vieler Orts unwirksame Widerrufsvorbehalte hinsichtlich Zulagen.
Es erscheint daher nicht schlüssig, dass den Parteien unterstellt wird, sie hätten die Rechtsänderung zum 01. Januar 2003 bei Kenntnis in ihren Vertrag mit aufgenommen und dann auch noch eine wirksame Widerrufsklausel vereinbart. Dieser Vertrauensschutz ist sehr weitreichend und verstößt gegen das sogenannte Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. Danach dürfen unwirksame Klauseln von AGB nicht derart reduzierend ausgelegt werden, dass sie gerade noch wirksam sind.
Es bleibt also abzuwarten, welche allgemeinen Widerrufsgründe im Einzelnen ausreichend sein werden, um in derartigen Altverträgen eine Wirksamkeit der Klausel herleiten zu können.
Auch wenn das BAG hiermit sich grundsätzlich für den Vertrauensschutz bei Altverträgen ausgesprochen hat, wird es in der Praxis auf den jeweiligen Einzelfall ankommen.
5 AZR 191/10
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