BAG: Fortbestand der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten in einem Betrieb unter fünf

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Fortdauer der Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung, wenn die Anzahl der schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Betrieb unter die Zahl von fünf absinkt, zu befassen.  

Folgender Sachverhalt liegt der Entscheidung zugrunde:  

Die Arbeitgeberin betreibt unter anderem in Köln einen Betrieb mit ca. 120 Mitarbeitern. In diesem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet. Zudem wurde am 13.11.2019 eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Zum 01.08.2020 sank die Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten und diesen Gleichgestellten im Betrieb unter die Anzahl von fünf auf vier ab.  

Mit Schreiben vom 10.08.2020 teilte die Arbeitgeberin der gewählten Vertrauensperson der Schwerbehinderten mit, dass aus ihrer Sicht eine Schwerbehindertenvertretung nicht mehr existiere. Mit Schreiben vom 14.08.2020 forderte die Schwerbehindertenvertretung die Arbeitgeberin unter Fristsetzung auf, den Fortbestand der Schwerbehindertenvertretung bis zum Ablauf der Amtszeit – der nächsten anstehenden Neuwahl – anzuerkennen. Zumindest solle für die Dauer der rechtlichen Klärung eine Duldung der Schwerbehindertenvertretung in Betracht gezogen werden. Dies lehnte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 17.08.2020 ab. Es bestehe kein Bedarf, bei Absinken des Schwellenwerts eine Schwerbehindertenvertretung aufrechtzuerhalten. Die Schwerbehindertenvertretung hat die Auffassung vertreten, dass eine nach der bereits durchgeführten Wahl eintretende Änderung der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten keine Auswirkungen auf die Existenz der Schwerbehindertenvertretung habe. Die Amtszeit dauere bis zur nächsten Wahl fort. Der Grundsatz aus dem Betriebsverfassungsrecht, dass das Absinken der wahlberechtigten Beschäftigten gem. § 1 Abs. 1 BetrVG zum Ende der Amtszeit des Betriebsrats führe, sei nicht übertragbar. 

Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, dass die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung ende, wenn der Schwellenwert aus § 177 Abs. 1 SGB IX unterschritten werde. Das SGB IX sehe keine ausdrückliche Regelung für den Fall vor, dass der Schwellenwert unterschritten werde. Für das Absinken unter die Schwelle des § 1 BetrVG sei für Betriebsräte anerkannt, dass sodann die Amtszeit ende. Für die Schwerbehindertenvertretung müsse der Grundsatz ebenfalls gelten. 

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Köln hat infolge des durch die Schwerbehindertenvertretung eingeleiteten Verfahrens festgestellt, dass die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung mit Unterschreitung des Schwellenwertes gemäß § 177 Abs. 1 SGB IX ende. Diese Entscheidung hat das LAG Köln mit Beschluss vom 31.08.2021 – 4 TaBV 19/21 bestätigt und die Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung zurückgewiesen.  

Im Wege der Rechtsbeschwerde hatte sich nunmehr das BAG mit der Entscheidung zu befassen und hat seinerseits festgestellt, dass die Schwerbehindertenvertretung (weiterhin) im Amt ist. 

Denn die Schwerbehindertenvertretung ist die Interessenvertretung der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten. Sie wird nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX u.a. in Betrieben mit wenigstens fünf – nicht nur vorübergehend beschäftigten – schwerbehinderten Menschen für eine Amtszeit von regelmäßig vier Jahren gewählt. Eine ausdrückliche Regelung, die das Erlöschen der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter unter den Schwellenwert nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorsieht, bestehe im Gesetz nicht. Eine vorzeitige Beendigung der Amtszeit sei auch nicht aus gesetzessystematischen Gründen oder im Hinblick auf Sinn und Zweck des Schwellenwerts geboten. Sinke die Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter im Betrieb unter den Schwellenwert von fünf ab, so führe dies nicht dazu, dass das Amt der Schwerbehindertenvertretung vorzeitig beendet werde. 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Das BAG hat mit seiner Entscheidung der Ansicht des LAG Köln (4 TaBV 19/21) und des LAG Niedersachsen (15 TaBV 145/17), nach der die Grundsätze über das Ende der Amtszeit des Betriebsrates aus dem Betriebsverfassungsrecht auf die Schwerbehindertenvertretung übertragbar seien, eine Absage erteilt. Damit hat das BAG Rechtsklarheit in einer in der Literatur bereits seit Jahren diskutierten Frage geschaffen. Die betreffende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 41/22 vor. 

 

Gericht: 

BAG

Aktenzeichen: 

7 ABR 27/21

Datum der Entscheidung: 

19.10.2022