BAG: Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Bereits im vergangenen Jahr hat das Bundesarbeitsgericht eine wegweisende Entscheidung zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Zahlung von Annahmeverzugslohn getroffen (BAG, Urteil vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22). Das BAG hatte in seiner Urteilsbegründung darauf hingewiesen, dass die Verletzung der in § 38 Abs. 1 SGB III geregelten Pflicht, sich innerhalb von drei Tagen nach Erhalt einer außerordentlichen Kündigung bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, im Rahmen der Anrechnungsvorschriften beim Annahmeverzug Beachtung finden müsse, denn der Arbeitnehmer dürfe nach § 11 Nr. 2 KSchG nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten werde. 

Nunmehr hat sich der Fünfte Senat erneut mit der Rechtsthematik des Annahmeverzugs befasst.  

Folgender Sachverhalt liegt zugrunde:  

Der Kläger war seit dem 16.08.2018 bei der beklagten Arbeitgeberin als technischer Leiter beschäftigt und hat 5.250,00 Euro brutto monatlich verdient. Mit Schreiben vom 02.12.2019 sprach die Arbeitgeberin eine fristlose Änderungskündigung aus, mit der sie dem Kläger einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine auf 3.750,00 Euro brutto monatlich verminderte Vergütung anbot. Weiter heißt es in dem Kündigungsschreiben,  

„im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“.  

Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 14.12.2019 das Arbeitsverhältnis erneut, und zwar „außerordentlich zum 17.12.2019 um 12:00 Uhr MEZ“. Ferner wies sie darauf hin,  

„im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung erwarte sie den Kläger am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“.  

Dem leistete der Kläger nicht Folge, sondern erhob Kündigungsschutzklage. Im Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst haben. 

Nachdem die Arbeitgeberin für den Monat Dezember 2019 nur noch eine (anteilige) Vergütung von 765,14 Euro brutto zahlte und der Kläger erst zum 01.04.2020 ein neues Arbeitsverhältnis begründen konnte, hat er Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für den Zeitraum vom 17.12.2019 bis 31.03.2020 erhoben, mit der er die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes verlangt. Er hat gemeint, die Beklagte habe sich im Streitzeitraum aufgrund ihrer unwirksamen Kündigungen im Annahmeverzug befunden. Eine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten zu geänderten oder auch den ursprünglichen Arbeitsbedingungen sei ihm, sofern die Beklagte dies überhaupt ernsthaft angeboten habe, nicht zuzumuten gewesen. Die Beklagte habe ihm zur Begründung ihrer fristlosen Kündigungen in umfangreichen Ausführungen zu Unrecht mannigfaches Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt. Sie habe ihrerseits geltend gemacht, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr unzumutbar. Dagegen hat die Beklagte gemeint, sie habe sich nicht im Annahmeverzug befunden, weil der Kläger während des Kündigungsschutzprozesses nicht bei ihr weitergearbeitet habe. Der Kläger sei selbst von der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausgegangen, weil er im Kündigungsschutzprozess einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt habe. 

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Sächsische Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Kläger habe trotz der unwirksamen Kündigungen der Beklagten keinen Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung, weil er das Angebot der Beklagten, während des Kündigungsschutzprozesses bei ihr weiterzuarbeiten, nicht angenommen habe. Der Kläger sei deshalb nicht leistungswillig im Sinne von § 297 BGB gewesen. 

Die vom Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts nachträglich zugelassene Revision des Klägers war erfolgreich. Die Beklagte befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte. Weil die Beklagte (mit Ausspruch der fristlosen Kündigung) selbst davon ausging, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr nicht zuzumuten, spricht wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Kläger kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitete. Die Ablehnung eines solchen „Angebots“ lässt nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Klägers im Sinne von § 297 BGB schließen. Es käme lediglich in Betracht, dass er sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müsste. Das schied im Streitfall jedoch aus, weil dem Kläger aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Beklagten nicht zuzumuten war. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt hat. Dieser Antrag war auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Hier ging es indes um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Es macht einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann. 

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer zur Vermeidung von Annahmeverzug die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung könne allerdings, so das BAG, durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden, was im vorliegenden Fall nicht mit Erfolg gelungen ist.  

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 17/23 vor. Jedoch lässt sich aus dieser bereits schließen, dass die aktuelle Rechtsprechung des Fünften Senats zum Annahmeverzugslohn es erforderlich macht, bereits zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung umfassend zu bedenken, ob und in welcher Höhe Annahmeverzugslohnansprüche entstehen (können). Denn zu diesem Zeitpunkt haben sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber noch die Möglichkeit, aktiv Anspruchsvoraussetzungen in tatsächlicher Hinsicht zu schaffen. 

Eine Übersicht der Anspruchsvoraussetzungen des Annahmeverzugs können Sie unserer Urteilsrezension zu der Entscheidung des BAG vom 12.10.2022, Az. 5 AZR 30/22 entnehmen. Diese können Sie hier nachlesen.

 

Gericht: 

BAG

Aktenzeichen: 

5 AZR 255/22

Datum der Entscheidung: 

29.03.2023