BAG: Gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und (kein) Initiativrecht des Betriebsrates zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob Betriebsräte die Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems im Wege eines betriebsverfassungsrechtlichen Initiativrechtes aus § 86 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verlangen können.

Folgender Sachverhalt liegt dieser Entscheidung zugrunde:  

Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung als gemeinsamen Betrieb unterhalten, schlossen im Jahr 2018 eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Zeitgleich verhandelten sie über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Eine Einigung hierüber kam nicht zustande. Auf Antrag des Betriebsrats setzte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“ ein. Nachdem die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit gerügt hatten, leitete der Betriebsrat das vorliegende gerichtliche Verfahren ein. Er hat die Feststellung begehrt, dass ihm ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems zusteht. 

Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte dem Antrag des Betriebsrats in zweiter Instanz noch stattgegeben. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen hatte vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.  

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur dann mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Die für den vorliegenden Fall maßgebliche gesetzliche Regelung finde sich im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Denn in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG heißt es: 

§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1) ¹Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. ²Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. … 

(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten 

    1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen (…) 

 

Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber daher bereits gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen. Dies schließe ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung aus. 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Das BAG hat mit seiner Entscheidung ein Initiativrecht des Betriebsrates zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems abgelehnt, dies jedoch unter Hinweis auf eine ohnehin bestehende gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung. Eine solche Verpflichtung, ein System zu schaffen, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter effektiv erfasst wird, hatte bereits der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 14.05.2019 (AZ. C 55/18) erkannt. Mit dieser nun auch durch das BAG bestätigten Pflicht werden sich Arbeitgeber daher (spätestens jetzt) befassen und eine praktische Handhabung zur Erfüllung dieser Verpflichtung entwickeln müssen. Denn der Wortlaut von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verweist – nur – auf „erforderliche Mittel unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten“. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Verwendung eines bestimmten Systems zur Zeiterfassung wird indes nicht festgelegt. Hier wird in der Praxis – wie so häufig – eine Einzelfallbetrachtung und -entscheidung durchgeführt werden müssen. Die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 35/22 vor. 

 

 

Gericht: 

BAG 

Aktenzeichen: 

1 ABR 22/21

Datum der Entscheidung: 

13.09.2022