BAG: Gewerkschaftseintritt eines Mitarbeiters nach Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband
Arbeitnehmer können die Geltung von Tarifverträgen auch nach Austritt des Arbeitgebers
aus dem Arbeitgeberverband durch Eintritt in die zuständige Gewerkschaft herbeiführen,
solange die Phase der Nachbindung (§ 3 Abs. 3 TVG) fortdauert.
Die Arbeitgeberin war Mitglied im Arbeitgeberverband der Metallindustrie und hatte ihre
Mitgliedschaft mit Wirkung zum 31.12.2005 gekündigt. Bereits im Sommer 2005 hatte die Arbeitgeberin mit dem Kläger und anderen Arbeitnehmern Änderungsverträge vereinbart, die eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden zum Inhalt hatten, obgleich der im Betrieb anwendbare Tarifvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden vorsah. Darüber hinaus kam es Ende des Jahres 2005 zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung, die die Führung eines Arbeitszeitkontos auf der Grundlage einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden vorsah.
Der Kläger war zunächst nicht Mitglied der Gewerkschaft IG Metall, trat der Gewerkschaft aber am 01.07.2006 bei. Im Herbst 2007 verlangte der Kläger die Feststellung, dass für sein Arbeitsverhältnis insgesamt 13 Tarifverträge, die zwischen dem Arbeitgeberverband und der Gewerkschaft IG Metall vereinbarte worden waren, zur Anwendung kommen. Ferner verlangte er die Gutschrift von 189,5 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto, da für ihn nur eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden verbindlich sei.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben der Klage weitgehend statt. Wenige Monate nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes vereinbarte die Arbeitgeberin mit der Gewerkschaft IG Metall einen Haustarifvertrag, der die Tarifverträge der Metallindustrie weitgehend in Bezug nahm, die wöchentliche Arbeitszeit aber auf 40 Stunden verlängerte.
Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidungen in den Vorinstanzen im Wesentlichen bestätigt. Obwohl der Kläger im Sommer 2005 in seinem Änderungsvertrag eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbart hatte, war für ihn seit seinem Eintritt in die Gewerkschaft nur noch die sich aus dem Manteltarifvertrag ergebende wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden verbindlich. Sowohl der Kläger als auch die Arbeitgeberin waren an die Tarifverträge der IG Metall gebunden. Dieses ergibt sich aus der Bestimmung von § 4 Abs. 1 TVG, die folgenden Wortlaut hat:
Die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Diese Vorschrift gilt entsprechend für die Rechtsnormen des Tarifvertrages über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen.
Der Kläger selbst war zunächst nicht an die Tarifverträge gebunden, hatte die Tarifbindung aber mit seinem Beitritt zur Gewerkschaft herbeigeführt. Die Arbeitgeberin war als Mitglied des Arbeitgeberverbandes an diese Tarifverträge gebunden. Diese Bindung endete noch nicht unmittelbar mit dem Ende der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband. Das ergibt sich aus der Bestimmung von § 3 Abs. 1 und 3 TVG, die folgenden Wortlaut hat:
§ 3 Tarifgebundenheit
- Tarifgebunden sind die Mitglieder der Vertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist.
- (…)
- Die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet.
Nach der Bestimmung von § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Bindung eines aus dem Arbeitgeberverband austretenden Arbeitgebers also bis zum Ende des jeweiligen Tarifvertrages bestehen. Die Tarifbindung kann deshalb auch nach dem Ende der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband begründet werden, wenn der jeweilige Tarifvertrag bis dahin noch nicht endete.
Für den Kläger war deshalb ab Beginn seiner Mitgliedschaft in der IG Metall eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden verbindlich.
Das Begehren des Klägers auf „Gutschrift“ der über 35 Stunden hinaus geleisteten Arbeitsstunden auf seinem Arbeitszeitkonto blieb hingegen erfolglos. Die Betriebsvereinbarung über das Arbeitszeitkonto beruhe auf einer wöchentlichen Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden. Wenn der Kläger dabei Arbeitszeiten über das von ihm tariflich geschuldete Maß hinaus erbracht habe, könne er deshalb lediglich Vergütung dieser Arbeitsstunden, nicht aber deren Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto verlangen. (BAG vom 06.07.2011 – 4 AZR 494/09)
4 AZR 494/09