BAG: Grundsätzlich keine Pflicht zur Teilnahme an einem Personalgespräch während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit
Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer ist nicht nur von seiner Arbeitspflicht befreit, sondern er ist auch nicht verpflichtet, zu einem vom Arbeitgeber angeordneten Personalgespräch im Betrieb zu erscheinen. Dies gilt jedenfalls für Personalgespräche, welche die Haupt- oder Nebenleistungspflichten des Arbeitnehmers betreffen. Dient das Personalgespräch der Verwirklichung oder Vorbereitung einer Nebenpflicht und besteht ein dringender betrieblicher Anlass, kann ein Arbeitnehmer ausnahmsweise verpflichtet sein, der Aufforderung nach einem Personalgespräch auch während bestehender Arbeitsunfähigkeit nachzukommen. In diesem Fall muss gerade das persönliche Erscheinen im Betrieb erforderlich sein.
Der Kläger war zunächst als Krankenpfleger und zuletzt befristet bis Ende 2013 als medizinischer Dokumentationsassistent bei dem beklagten Krankenhausunternehmen eingesetzt. Zwischen November 2013 und Februar 2014 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. In diesem Zeitraum lud ihn die Beklagte zweimal zu einem Gespräch zur Erörterung seiner weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten ein. Der Kläger sagte beide Gespräche unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit ab. Die Beklagte forderte den Kläger sodann auf, gesundheitliche Gründe, die ihn an der Wahrnehmung des Termins hindern würden, durch ein spezielles Attest nachweisen. Dem kam der Kläger nicht nach und nahm auch an dem weiteren angesetzten Termin zur Führung eines Personalgesprächs nicht teil. Er erhielt daraufhin von der Beklagten wegen des Fernbleibens vom Personalgespräch eine Abmahnung.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 02.November 2016- 10 AZR 596/15 (LAG Berlin-Brandenburg, Urt.v.17.07.2015- 6 Sa 2276/14) der Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte, ebenso wie die Vorinstanzen, stattgegeben. Soweit der Kläger zudem die Feststellung begehrte, er sei während der Arbeitsunfähigkeit generell nicht zur Teilnahme an Personalgesprächen verpflichtet, wies das BAG die Klage ab.
Das BAG erläutert in seiner Entscheidung zunächst, auf welcher rechtlichen Grundlage die Pflicht zur Teilnahme an Personalgesprächen beruht. Dabei greift es seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BAG 23.06.2009 – 2 AZR 606/08) auf. Ausgangspunkt ist das Direktionsrecht des Arbeitgebers gem. § 106 S. 1 Gewerbeordnung (GewO), wonach der Arbeitgeber vorbehaltlich gesetzlicher, vertraglicher und kollektivrechtlicher Grenzen „Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen kann“. In diesem Rahmen kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch zur Teilnahme an Personalgesprächen verpflichten. Keine Teilnahmepflicht besteht an Gesprächen, die mit den im Gesetz genannten Zielen nicht im Zusammenhang stehen, wie beispielsweise Gespräche über Veränderungen des Arbeitsvertrages an sich.
Daran anschließend führt das BAG aus, der Arbeitgeber habe während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kein Weisungsrecht, soweit Pflichten betroffen seien, von denen der Arbeitnehmer aufgrund seiner Krankheit befreit sei. Darunter fallen die Arbeitspflicht als Hauptleistungspflicht sowie die unmittelbar damit zusammenhängenden Leistungspflichten.
Soweit jedoch leistungssichernde Neben-oder Verhaltenspflichten sowie Rücksichtnahmepflichten des Arbeitnehmers betroffen seien, berühre die Arbeitsunfähigkeit das Direktionsrecht bezüglich dieser Pflichten grundsätzlich nicht. Allerdings würden es die Rücksichtnahmepflichten des Arbeitgebers wegen der latenten Gefahr der Beeinträchtigung des Genesungsprozesses gebieten, die Erteilung von Weisungen während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers auch in diesem Bereich auf betriebliche Anlässe zu beschränken. Denkbar seien insoweit beispielsweise Gründe der Organisation, des Arbeitsablaufs oder der Sicherheit im Betrieb, aber auch die Wahrung des Betriebsfriedens. Diese müssten im Einzelfall aus konkreten betrieblichen Belangen hergeleitet werden und dürften keinen Aufschub bis zu einer eventuellen Wiedergenesung dulden. Aber selbst dann, wenn der Arbeitgeber betriebliche Erfordernisse darlegen könne, müsse gerade die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb zwingend erforderlich sein.
Aus den genannten Voraussetzungen folgert das BAG im vorliegenden Fall, dass die Abmahnung rechtswidrig war, da kein Weisungsrecht bestanden habe. Zwar betreffe die Anordnung, zu einem Personalgespräch zu erscheinen, in welchem die weitere vertragsgemäße Beschäftigung nach Ablauf eines befristeten Einsatzes erörtert werden soll, weder eine arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht noch eine mit dieser zusammenhängende Leistungspflicht, sondern eine Nebenpflicht des Klägers. Somit war der Kläger nicht bereits allein aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit von der Teilnahme am Personalgespräch befreit. Allerdings- so das BAG- habe die Beklagte keinen dringenden betrieblichen Anlass für die Erteilung der Weisung und der zwingenden Anwesenheit des Klägers im Betrieb, dargelegt.
Hinweise von Mosebach Gescher Otto Dotting – Rechtsanwälte Partnerschaft mbB: Mit dieser Entscheidung ist für arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer klar, dass sie im Normalfall nicht zu einem Personalgespräch erscheinen müssen. Das gilt jedenfalls, – d.h. unabhängig einer etwaigen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit- wenn der Inhalt des Personalgesprächs nicht vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt ist. Ferner besteht keine Teilnahmepflicht arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer an Personalgesprächen, wenn der Gesprächsinhalt Hauptleistungspflichten oder unmittelbar damit zusammenhängende Pflichten betrifft. Dann ist der Arbeitnehmer bereits aufgrund seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hiervon befreit. Soweit das Personalgespräch Nebenpflichten des Arbeitnehmers betrifft, folgt aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers grundsätzlich, dass er es zu unterlassen hat, erkrankte Arbeitnehmer zu Personalgesprächen zu laden. Das BAG lässt jedoch eine Ausnahme für betrieblich bedingt unverzichtbare Personalgespräche zu. Dies hat zwar der Arbeitgeber im Zweifel darzulegen- und zu beweisen. Dennoch sollten Arbeitnehmer vor Ablehnung eines Personalgespräches prüfen, welchen Inhalt das Personalgespräch hat. Für den Fall, dass das Gespräch der Vorbereitung oder der Verwirklichung einer Nebenpflicht dient, sollte zudem geprüft werden, ob unverzichtbare betriebliche Gründe vorliegen könnten. Bleibt nämlich der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer zu Unrecht einem angeordneten Personalgespräch fern, steht schnell der Vorwurf der Arbeitsverweigerung im Raum. Dies könnte der Arbeitgeber mit entsprechenden arbeitsrechtlichen Sanktionen wie einer Abmahnung belegen.
Unabhängig der rechtlichen Schwierigkeiten für Arbeitgeber, ein Personalgespräch gegenüber einem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer anzuordnen, sollte bei arbeitsunfähigen Arbeitnehmern beachtet werden, dass § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX den Arbeitgeber dazu auffordert, bei mehr als sechswöchiger ununterbrochener Erkrankung oder sich wiederholender Arbeitsunfähigkeit im Jahr, ein Gespräch zur betrieblichen Eingliederung zu führen (sog. betriebliches Eingliederungsmanagement- kurz BEM). Bezüglich dieser Gespräche bedarf es der Zustimmung des Arbeitnehmers. Eine Abmahnung oder andere arbeitsvertragliche Sanktionen kommen bei Nichtbefolgung der Aufforderung eines sog. BEM-Gespräches somit nicht in Betracht.
Gericht:
BAG
Datum:
02.11.2016
Aktenzeichen:
10 AZR 596/15