BAG: Kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn bei coronabedingter Betriebsschließung
Die Parteien streiten über die Vergütung für den Monat April 2020. Die Klägerin war bei der Beklagten – der Betreiberin einer Spielstätte – als Servicekraft beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete aufgrund einer Eigenkündigung der Klägerin mit Ablauf des Monates April 2020. Da der Beklagten aufgrund einer Allgemeinverfügung der Stadt sowie der Corona-Schutzverordnung des Landes der Betrieb der Spielstätte im Monat April 2020 untersagt worden war, blieb die Klägerin der Arbeit auf Anweisung der Beklagten fern. Die Beklagte zahlte an die Klägerin für den Monat April 2020 keine Vergütung. Die Klägerin begehrt die Zahlung der Vergütung, die sie bei dienstplanmäßiger Beschäftigung im Monat April 2020 erhalten hätte.
Das Arbeitsgericht sowie das LAG gaben der Klage statt. Die Revision der Beklagten vor dem BAG gegen das zweitinstanzliche Urteil hatte jedoch Erfolg.
Das BAG lehnt einen Anspruch der Klägerin auf Annahmeverzugslohn aus §§ 615, 611a BGB ab. Zwar habe sich die Beklagte mit der Annahme der Arbeitsleistung der Klägerin in Verzug befunden, da sie die leistungsfähige und -willige Klägerin im April 2020 nicht habe beschäftigen können. Allerdings stehe dem Arbeitnehmer in Fällen der sog. „Annahmeunmöglichkeit“, in denen der Arbeitgeber die Arbeitsleistung entgegennehmen wolle, aber nicht entgegennehmen könne, nur dann ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu, wenn der Arbeitgeber nach der Betriebsrisikolehre das Risiko des Arbeitsausfalles zu tragen habe. Das sei bei von außen gesetzten Störursachen dann der Fall, wenn diese unmittelbar auf die Betriebsmittel einwirken oder untrennbar mit der vom Arbeitgeber initiierten Zwecksetzung des Betriebes verbunden sind.
Soweit der mit einer Betriebsschließung verbundene Arbeitsausfall auf staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beruht, sei danach zu unterscheiden, ob
1.die behördliche Maßnahme darauf abziele, einem im Betrieb des Arbeitgebers angelegten besonderen Risiko zu begegnen, etwa weil die vom Arbeitgeber zu verantwortenden Produktionsmethoden bzw. -bedingungen oder Arbeitsbedingungen eine besonders hohe Ansteckungsgefahr innerhalb der Belegschaft in sich bergen
oder
2. die behördlich verfügte Betriebsschließung eine allgemeine Maßnahme zur Pandemiebekämpfung darstelle, um zum Schutz der Bevölkerung vor den Infektionsrisiken mit dem Corona-Virus die sozialen Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren und zu diesem Zweck alle nahezu nicht für die Grundversorgung der Bevölkerung notwendigen Betriebe und Einrichtungen geschlossen werden.
Im ersten Fall trage der Arbeitgeber die Verantwortung, für die von ihm gewählten und organisierten betrieblichen Abläufe und daher auch das Arbeitsausfallrisiko infolge der im Vergleich mit der Allgemeinheit erhöhten Gesundheitsrisiken seiner Arbeitnehmer.
Beruhe die Betriebsschließung dagegen auf allgemeinen behördlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, realisiere sich gerade nicht das im Betrieb des Arbeitgebers angelegte Betriebsrisiko, sondern vielmehr ein allgemeines Risiko, das letztlich Folge einer politischen Entscheidung zur Eindämmung der die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage sei. Die bloße Publikumsaffinität des Betriebes genüge nicht, um dem Arbeitgeber das Betriebsrisiko zuzurechnen. In diesen Fällen obliege es dem Staat, gegebenenfalls für einen angemessenen Ausgleich der den Arbeitnehmer durch die hoheitlichen Maßnahmen entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. Für die Einordnung eines Risikos als Betriebsrisiko und den Anspruch des Beschäftigten auf Annahmeverzugslohn seien mögliche nachgelagerte Ansprüche (z.B. auf Kurzarbeitergeld) aber unerheblich.
Nach diesen Grundsätzen treffe die Beklagte im vorliegenden Fall nicht das Risiko des Arbeitsausfalls wegen der aufgrund der Allgemeinverfügung der Stadt sowie der Corona-Schutzverordnung des Landes angeordneten Betriebsschließung. Die Schließung von Spielstätten sowie die Untersagung des Betriebs von Freizeit-, Kultur- und Vergnügungsstätten habe sich gerade nicht speziell gegen den Betrieb der Beklagten oder gegen ein gerade darin angelegtes besonderes Gesundheitsrisiko gerichtet, sondern vielmehr dem allgemeinen Ziel gedient, das Infektionsrisiko einzudämmen und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens aufrechtzuerhalten.
Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Annahmeverzugslohn für den Monat April 2020 bestehe daher nicht.
Hinweise von Rechtsanwältin Claudia Tasch:
Mit seiner Entscheidung bestätigt das BAG seine Entscheidung zur Weiterentwicklung der Rechtsprechung zum Betriebsrisiko bei einer Betriebsschließung aufgrund allgemeiner staatlicher Pandemiebekämpfungsmaßnahmen aus dem Vorjahr (vgl. BAG, Urteil vom 13.10.2021, 5 AZR 211/21) und schafft damit Rechtssicherheit in einer der zahlreichen arbeitsrechtlichen Fragen, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie aufgekommen sind. Angesichts der Vielzahl der in der Fachliteratur zur Tragung des Arbeitsausfallrisikos aufgrund einer durch die Corona-Pandemie bedingten Betriebsschließung vertretenen Auffassungen, waren die beiden Entscheidungen des BAG aus rechtlicher Sicht keinesfalls zwingend. In Zusammenschau mit den staatlichen Maßnahmen zur Abmilderung der finanziellen Einbußen, die den Unternehmern und Beschäftigten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entstanden sind, insbesondere dem erleichterten Zugang zu Kurzarbeitergeld, erscheinen die beiden Entscheidungen aber durchaus gerecht.
Im Übrigen weist das BAG – obwohl die Frage im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich war – noch darauf hin, dass Arbeitgeber aufgrund ihrer Rücksichtnahmepflicht dazu verpflichtet seien, ihren Beschäftigten im Falle von Betriebsschließungen den Bezug von Kurzarbeitergeld zu ermöglichen und mit dem Betriebsrat oder – sofern ein solcher nicht besteht – mit den einzelnen Arbeitnehmern über die Einführung von Kurzarbeit zu verhandeln. Soweit sie dieser Pflicht nicht nachkommen, komme ein Schadensersatzanspruch der einzelnen Arbeitnehmer in Betracht.
Gericht:
BAG
Aktenzeichen:
5 AZR 366/21
Datum der Entscheidung:
04.05.2022