BAG: Kein Restmandat des Betriebsrats nach Betriebsübergang für Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen haben
Geht ein ganzer Betrieb durch Betriebsübergang auf einen anderen Inhaber über und widersprechen einzelne Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses, so hat der Betriebsrat für diese widersprechenden Arbeitnehmer kein Restmandat. Der frühere Arbeitgeber muss den Betriebsrat vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber den widersprechenden Arbeitnehmern nicht gem. § 102 BetrVG beteiligen.
Die Beklagte war auf dem Gebiet der Industriereinigung tätig. Der Kläger war bei ihr seit September 2000 als Reiniger beschäftigt. Anfang April 2009 vereinbarte die Beklagte mit der E GmbH einen Betriebspachtvertrag mit Wirkung zum 1. Juni 2009. Der Kläger widersprach gemeinsam mit einigen anderen Mitarbeitern dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die die E GmbH, nachdem er von der Beklagten über den Betriebsübergang unterrichtet wurde. Am 23.06.2009 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine betriebsbedingte Kündigung aus, ohne den in ihrem bisherigen Betrieb gebildeten Betriebsrat zu beteiligen. Die gegen die Wirksamkeit der Kündigung gerichtete Klage wurde vom Arbeitsgericht und vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Die Revision des Klägers war ebenfalls nicht erfolgreich. Nach Auffassung des BAG musste der Betriebsrat des auf den Erwerber übergegangenen Betriebes nicht angehört werden müssen, weil der Kläger mit seinem Widerspruch gegen den Betriebsübergang dem Betrieb nicht mehr angehöre. Der Betriebsrat soll nach der Entscheidung des BAG für die Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen haben, weder ein Übergangs- noch ein Restmandat haben. Ein Restmandat im Sinne von § 21b BetrVG habe der Betriebsrat für die Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen haben, bereits deshalb nicht gehabt, weil der Betrieb nicht untergehe. Der Betrieb sei als Ganzes unter Beibehaltung der Identität des Betriebs auf den Betriebserwerber übergegangen. Dann sei, so führt das BAG aus, ein Restmandat für den Betriebsrat nicht denkbar. Der Betriebsrat soll für die Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen haben, auch nicht im Wege eines Übergangsmandates im Sinne von § 21a BetrVG zuständig sein. Dafür nennt das BAG unterschiedliche Gründe:
- Ein Übergangsmandat setze eine Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen oder eine Spaltung eines Betriebes voraus. Daran habe es hier gefehlt. Der Betrieb sei hier nicht „gespalten“, sondern als Ganzes auf einen anderen Rechtsträger übertragen worden. Eine „Spaltung“ eines Betriebes setze stets eine „betriebsorganisatorische Veränderung“ voraus. Wenn aber nur einige Mitarbeiter dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widerspreche, läge keine solche betriebsorganisatorische Veränderung vor.
- Darüber hinaus setze ein Übergangsmandat stets voraus, dass es einen Betrieb gebe, für den das Übergangsmandat ausgeübt werden solle. Eine Gruppe von Mitarbeitern, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen haben, stelle aber keinen Betrieb dar.
Anmerkung von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto
Die Entscheidung des BAG befremdet, auch wenn sie lediglich fortschreibt, was in früheren Entscheidungen bereits angelegt war. Im Ergebnis mag der Entscheidung des BAG aufgrund einer besonderen Sachverhaltskonstellation zuzustimmen sein. Der Kläger hatte nicht dargelegt, dass mindestens fünf Mitarbeiter dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen hatten. Da nach wohl zutreffender Auffassung ein Übergangsmandat immer nur dann in Betracht kommt, wenn im jeweiligen Betriebsteil mindestens fünf Mitarbeiter tätig sind, konnte der Betriebsrat für die verbleibenden Mitarbeiter nicht aufgrund eines Übergangsmandates zuständig sein. Das BAG stützte seine Entscheidung jedoch nur am Rande auf diese Erwägung und stellte ausführlich dar, dass dem Betriebsrat – auch wenn mehr Mitarbeiter dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen hätten – kein Übergangsmandat zustehen könne.
Rechtsfolgenüberlegungen
Dadurch stellt diese Entscheidung eine „Einladung zum Missbrauch“ dar. Das BAG gibt mit dieser Entscheidung dem Arbeitgeber, der sich von seinem Betrieb trennen will, ohne die Lasten eines Sozialplans tragen zu wollen, alle erforderlichen Instrumente in die Hand. So kann ein Arbeitgeber seinen Betrieb an eine finanziell knapp ausgestattete Abwicklungsgesellschaft veräußern. Der Betriebsrat kann dazu keinen Sozialplan erzwingen, weil der Betriebsübergang als solches keine Betriebsänderung darstellt. Wird der Betrieb dann von der Abwicklungsgesellschaft stillgelegt, stellt das zwar eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung dar. Da es für die Dimensionierung des Sozialplans aber auf die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers, also der Abwicklungsgesellschaft ankommt, wird der Sozialplan bei entsprechend knapper finanzieller Ausstattung der Abwicklungsgesellschaft knapp bemessen sein. Widerspricht ein Mitarbeiter, der die Stillegungsabsicht des Betriebserwerbers befürchtet, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses, verliert er nach der Entscheidung des BAG jede Chance auf eine noch so geringe Sozialplanabfindung. Ein Sozialplan setzt immer das Bestehen eines Betriebsrats voraus. Nach der Entscheidung des BAG soll der bisherige Betriebsrat für die Mitarbeiter, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprochen haben, aber nicht mehr zuständig sein. Diese Mitarbeiter sollen noch nicht einmal einen Betriebsrat bilden können, weil sie nach Auffassung des BAG keinem Betrieb angehören; das BAG nimmt diese Mitarbeiter aus dem Bereich des BetrVG heraus.
Analyse der Entscheidung
Auch wenn die beschriebenen Missbrauchsmöglichkeiten evident erscheinen, wäre gegen die Entscheidung des BAG nichts einzuwenden, wenn ihre Begründung zwingend erschiene. Das ist aber nicht der Fall. So erscheint bereits der Ansatzpunkt des BAG, nach dem ein Übergangsmandat bei der Übertragung eines Betriebes auf einen Erwerber und dem anschließenden Widerspruch einzelner Mitarbeiter nicht in Betracht komme, weil in diesen Fällen keine „betriebsorganisatorische Veränderung“ und deshalb keine Spaltung vorliege, weder zwingend noch überzeugend. Soweit ein Mitarbeiter dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Erwerber widerspricht, hat das noch nicht zwingend zur Folge, dass der Mitarbeiter dem Betrieb nicht mehr angehört. Vielmehr kann der Mitarbeiter, worauf Buschmann zutreffend hinweist, bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen weiterhin im Betrieb eingesetzt werden (DKKW/Buschmann, § 21a BetrVG Rn. 21a). Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der bisherige Arbeitgeber den Mitarbeiter im Wege der Arbeitnehmerüberlassung im Betrieb einsetzen möchte und der Mitarbeiter damit einverstanden ist. Soll der Mitarbeiter nach seinem Widerspruch nicht mehr im Betrieb eingesetzt werden, so stellt die Herausnahme des Mitarbeiters eine ausreichende betriebsorganisatorische Veränderung dar.
Ausblick
Die Entscheidung des BAG ist keineswegs zwingend. Im Hinblick auf die vom BAG eröffneten Missbrauchsmöglichkeiten erscheint es naheliegend, dass sich das BAG mit dieser Fragestellung schon bald wieder zu befassen haben wird. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG seine Rechtsprechung zu dieser Frage schon bald korrigiert. (BAG vom 08.05.2014 – 2 AZR 1005/12)
2 AZR 1005/12