BAG: Keine Ablösung tariflicher Regelungen durch Betriebsvereinbarung nach Betriebsübergang

Beim Veräußerer geltende tarifliche Regelungen können nach einem Betriebsübergang beim Erwerber nicht durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Ausnahmen sind nur für den Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung denkbar.

Der Kläger war seit dem 1. Januar 1997 für die Travelex Deutschland GmbH tätig. Sein Arbeitsverhältnis wurde mit Wirkung zum 15. Januar 2004 auf eine neue Arbeitgeberin, die Firma Intex überführt. Dazu schlossen Travelex, Intex und der Kläger einen Überleitungsvertrag zur Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf die Intex.

Die Travelex hatte mit der Gewerkschaft ver.di einen Gehaltstarifvertrag vereinbart. Dieser sah eine Erhöhung der Entgelte ab dem 10. Jahr der Betriebszugehörigkeit vor. Die Intex schloss mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat am 2. Mai 2005 eine Betriebsvereinbarung zur Lohngestaltung, in der sich folgende Regelung fand:

§ 4 Sonderregelung für Ex-Travelex-Mitarbeiter

Die vertragliche Situation derjenigen Mitarbeiter, die im Januar 2004 von der Firma Travelex Deutschland GmbH übernommen wurden, bleibt erhalten. Daher gelten für diese Mitarbeiter des § 3 nicht.

Die vertraglich vorgesehenen Gehaltssteigerungen für 2005 werden gezahlt. Eine weitere Erhöhung ist während der Laufzeit dieser Betriebsvereinbarung ausgeschlossen.

Die Geschäftsleitung kann auch diese Mitarbeiter an Bonussystemen teilnehmen lassen, etwa dergestalt, dass für Terminal 2 ein monatliches Umsatzziel ausgegeben wird, bei dessen Überschreiten diese Mitarbeiter prozentual am Überschuss beteiligt werden.

Der Kläger hätte nach dem zwischen der Travelex und der Gewerkschaft ver.di am 21. Januar 2003 vereinbarten Gehaltstarifvertrag ab dem Beginn des Jahres 2006 aufgrund der Vollendung des zehnten Jahres der Betriebszugehörigkeit eine Gehaltserhöhung zu beanspruchen. Als ihm diese verweigert wurde, erhob er Klage.

Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Revision der Firma Intex blieb erfolglos.

Unklar war bereits, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund Betriebsüberganges oder aufgrund einer mit dem Kläger vereinbarten Überleitungsvereinbarung auf die Firma Intex übergegangen war. Darauf kam es nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) im Ergebnis jedoch nicht an. Sollte das Arbeitsverhältnis ausschließlich aufgrund des Überleitungsvertrages übergegangen sein, würde sich der Anspruch bereits aus dem Überleitungsvertrag ergeben. Darin hatten die Parteien vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis von der Firma Intex „zu den bisherigen Bedingungen“ fortgesetzt wird. Ferner vereinbarten die Parteien dazu Folgendes:

Die übrigen Arbeitsbedingungen, insbesondere Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts, die Arbeitszeit, die Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses bleiben unverändert (Übernahme 1:1).

Das BAG hat diese Regelung als arbeitsvertraglichen Verweis auf die bei der Travelex Deutschland GmbH geltenden Tarifverträge und damit auch auf den Entgelttarifvertrag verstanden. Eine solche arbeitsvertragliche Verweisung könne aufgrund des Günstigkeits-prinzipes nicht durch eine Betriebsvereinbarung beseitigt werden.

Das BAG hielt allerdings auch eine Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Regelung für denkbar. In diesem Fall wäre das Arbeitsverhältnis aufgrund Betriebsüberganges gemäß § 613a Abs. 1 BGB auf die Firma Intex übergegangen. Dabei ordnet die Bestimmung von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB an, dass die beim Veräußerer, der Firma Travelex, geltenden Tarifverträge zum Bestandteil des Arbeitsverhältnisses der betroffenen Mitarbeiter würden. Zwar sehe die Bestimmung von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB vor, dass die beim Veräußerer geltenden kollektiven Regelungen durch beim Erwerber geltende kollektive Regelungen abgelöst werden könnten. Das ermögliche aber keine Ablösung von beim Veräußerer geltenden tarifvertraglichen Regelungen durch eine beim Erwerber vereinbarte Betriebsvereinbarung.

Die Möglichkeit einer solchen „Über-Kreuz-Ablösung“ würde gegen den Schutzzweck von § 613a Abs. 1 BGB und die ihm zugrunde liegenden Richtlinie 77/187/EWG vom 14.02.1977 in ihrer Fassung durch die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12.03.2001 verstoßen. Diese Bestimmungen verfolgten ersichtlich das Ziel, die Rechtsstellung der Arbeitnehmer vor Verschlechterungen aus Anlass eines Betriebsüberganges weitgehend zu schützen. Dem aber widerspräche es, wenn es dem Arbeitgeber ermöglicht würde, tarifvertraglich begründete Rechtsansprüche der Arbeitnehmer nach einem Betriebsübergang durch ungünstigere Regelungen einer Betriebsvereinbarung abzulösen.

Außerhalb eines Betriebsüberganges sei eine solche Verschlechterung aufgrund der Bestimmung von § 4 Abs. 3 TVG nicht möglich. Selbst eine gemäß § 4 Abs. 5 TVG lediglich nachwirkende Tarifregelung könne jedenfalls außerhalb des Bereiches der zwingenden Mitbestimmung nicht durch eine ungünstigere Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Deshalb sei auch im Falle eines Betriebsüberganges eine Über-Kreuz-Ablösung eines Tarifvertrages durch eine Betriebsvereinbarung jedenfalls außerhalb des Bereiches der zwingenden Mitbestimmung nicht möglich.

Betriebsvereinbarungen über die betriebliche Lohngestaltung sind nicht vollständig, sondern nur teilweise mitbestimmungsbedürftig. Während der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen mitbestimmungsfrei vorgeben kann, bedarf er nur für die Ausgestaltung, also den Verteilungs- und Leistungsplan, gemäß § 87 Abs. 1 Ziffer 10 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrates. Damit fehlt es an der kongruenten Regelungsmacht des Betriebsrates. Eine Über-Kreuz-Ablösung der Regelungen des bei der Travelex vereinbarten Gehaltstarifvertrages durch die bei der Firma Intex abgeschlossene Betriebsvereinbarung kam damit nicht in Betracht. (BAG vom 21.04.2010 – 4 AZR 768/08)

Aktenzeichen:

4 AZR 768/08