BAG: (Keine) Anfechtbarkeit oder Sittenwidrigkeit eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses

Nachdem in einem Getränkemarkt erhebliche Differenzen zwischen Pfandgeldauszahlungen und dem tatsächlich vorhandenen Leergut festgestellt wurden, ließ die Arbeitgeberin den Kassenarbeitsplatz mit einer Videokamera überwachen. Dabei zeigte sich, dass der Kläger, der an der Kasse arbeitete, an drei Tagen Unterschlagungen in Höhe von insgesamt 1120,00 € begangen hatte.

Der Kläger wurde am letzten Tag der Beobachtung, dem 24.07.2006, mit dem Vorwurf zahlreicher Unterschlagungen konfrontiert. Ihm wurde von drei Vertretern des Arbeitgebers in Anwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden vorgeworfen, er habe Leergut gebucht und die entsprechenden Pfandbeträge an sich ausgezahlt, obwohl es tatsächlich zu keinen Leergutrückgaben gekommen sei.

Im Gespräch fertigte der Kläger eine eigenhändige Erklärung. In dieser gab zu, seit etwa vier Jahren auf diese Weise Geld an sich genommen zu haben, insgesamt im Umfang von mindestens 110.000,00 €. Er sei bereit den Schaden zu ersetzen.

Die Vertreter des Arbeitgebers und der Kläger fuhren eine dreiviertel Stunde nach diesem Gespräch zu einem Notar. Dort wurde ein Schuldanerkenntnis beurkundet. Der Notar wies den Kläger darauf hin, dass er dieses nicht unterzeichnen müsse. Gleichwohl unterzeichnete der Kläger das Schuldanerkenntnis und anerkannte darin, vorsätzliche unerlaubte Handlungen begangen zu haben und zur Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 113.750,00 € zuzüglich Zinsen verpflichtet zu sein. Ferner verpflichtete sich der Kläger darin zu einer monatlichen Ratenzahlung in Höhe von 200,00 €. Schließlich unterwarf er sich in der Urkunde auch der sofortigen Zwangsvollstreckung.

Nachdem der Kläger über einen Zeitraum von vier Monaten die vereinbarten Raten gezahlt hatte, ließ er mit Datum vom 29.12.2006 sein Schuldanerkenntnis anfechten und behauptete, dass das Schuldanerkenntnis wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei. Dazu behauptete er, die Arbeitgeberin habe ihm im Gespräch am 24.07.2007 sein Mobilfunktelefon abgenommen und mit der Erstattung einer Strafanzeige gedroht, wenn er das Schuldanerkenntnis nicht unterzeichne. Seine Geständnisse und Erklärungen seien ihm von der Arbeitgeberin vorgegeben und ihm sei auch keine Überlegungsfrist eingeräumt worden. Die im notariellen Schuldanerkenntnis genannte Summe sei auch unangemessen hoch. Mit diesen Argumenten wandte er sich gegen die von der Arbeitgeberin eingeleitete Zwangsvollstreckung.

Das Bundesarbeitsgericht hat die Forderung der Arbeitgeberin bestätigt. Das notarielle Schuldanerkenntnis des Klägers vom 24.07.2006 stelle ein wirksames deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar. Mit diesem hätten die Parteien ihre materiellrechtlichen Beziehungen durch einen solchen einseitigen Feststellungsvertrag regeln wollen. Der Zweck des notariellen Schuldanerkenntnis habe darin bestanden, das Schuldverhältnis insgesamt oder auch in einzelnen Punkten dem Streit oder der Ungewissheit der Parteien zu entziehen. Der Kläger sei deshalb mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die er bei Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnis kannte oder mit denen er zumindest rechnete. Dazu gehören auch rechtshindernde Einwendungen wie das Fehlen anspruchsbegründender Tatsachen.

Der Kläger habe bei Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnis gewusst, dass gerade das Bestehen und die Höhe des zu ersetzenden Schadens klärungsbedürftig waren. Deshalb sei er nun mit dem Einwand ausgeschlossen, die Schuld bestehe nicht oder nicht in dieser Höhe.

Das Schuldanerkenntnis sei auch weder nichtig noch sei es wirksam angefochten worden. Auch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen komme nicht zur Anwendung, da vorformulierte Vertragsbedingungen nicht zur Anwendung gekommen sind.

Eine Sittenwidrigkeit liege nicht vor. Ein Rechtsgeschäft sei nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht vereinbar sei. Solches sei hier jedoch nicht gegeben. Der Beweggrund der Arbeitgeberin, den Kläger zur Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnisses zu veranlassen, war nicht sittenwidrig, weil der Kläger zuvor zugegeben hatte, über Jahre hinweg Geld aus der Kasse entwendet zu haben. Der Kläger hat auch später die von ihm im Gespräch mit dem Arbeitgeber eingeräumten Verfehlungen nicht in Abrede gestellt, sondern nur die Höhe des von ihm anerkannten Schadens bestritten.

Das notarielle Schuldanerkenntnis war auch deshalb nicht sittenwidrig, weil der Kläger – bei gleich bleibenden Einkommensverhältnissen – den Betrag gegebenenfalls niemals würde vollständig zurückzahlen können. Es verstößt nicht gegen die guten Sitten, sich zu Leistungen zu verpflichten, die nur unter besonders günstigen Bedingungen erbracht werden können.

Das notarielle Schuldanerkenntnis war auch deshalb nicht sittenwidrig, weil dem Kläger etwa jede Überlegungsfrist genommen worden wäre. So habe der Kläger nach dem Gespräch mit den Vertretern des Arbeitgebers eine dreiviertel Stunde warten müssen, bevor die Fahrt zum Notar angetreten worden sei. Auch die Fahrt zum Notar habe eine entsprechende Zeit in Anspruch genommen und der Notar selbst habe den Kläger darauf hingewiesen, dass er das Schuldanerkenntnis nicht unterschreiben müsse. Der Kläger habe damit die Gelegenheit gehabt, Bedenken zu äußern und in Ruhe über sein Vorgehen nachzudenken.

Es habe schließlich auch keine Zwangslage bei Abgabe des notariellen Schuldanerkenntnis bestanden, die die Arbeitgeberin in sittenwidriger Weise ausgenutzt habe. Zwar habe die Arbeitgeberin mit der Erstattung einer Anzeige gedroht. Das sei jedoch nicht sittenwidrig gewesen, weil jeder verständige Arbeitgeber in der damaligen Situation die Erstattung einer Anzeige in Erwägung gezogen hätte. (BAG vom 22.07.2010 – 8 AZR 144/09)

Gericht:

BAG

Datum:

22.07.2010

Aktenzeichen:

8 AZR 144/09