BAG: Rechtsmissbräuchliche Gestaltung von Sachgrundbefristungen hängt maßgeblich von der Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie der Anzahl der Vertragsverlängerungen ab

Anknüpfend an die Rechtsprechung des EuGH und in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung gibt das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 26.10.2016 – 7 AZR 135/15 Orientierungshilfe, ab welcher Gesamtdauer und welcher Anzahl von Verlängerungen in der Regel eine umfassende Kontrolle nach den Grundsätzen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) geboten bzw. ab wann in der Regel sogar von einem indizierten Rechtsmissbrauch auszugehen ist.

Das Bundesarbeitsgericht geht bei der Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen von den Höchstwerten des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG aus. Danach ist eine sachgrundlose Befristung bis zu der festgelegten Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerung zulässig. Dieser Grenze kennzeichne den nach Auffassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Davon ausgehend gelangt das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung zu folgenden Schwellen einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen:

Eine umfassende Kontrolle nach den Grundsätzen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs ist in der Regel geboten, wenn

  • die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses 8 Jahre überschreitet oder
  • mehr als 12 Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags vereinbart wurden oder
  • wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhältnisses 6 Jahre überschreitet und mehr als 9 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden.

Liegen diese Voraussetzungen vor, hängt es von den vom Arbeitnehmer vorzutragen Umständen ab, ob ein Missbrauch der Befristungsmöglichkeit anzunehmen ist.

Von einem indizierten Rechtsmissbrauch ist in der Regel auszugehen, wenn

  • die Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses 10 Jahre überschreitet oder
  • mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder
  • mehr als 12 Vertragsverlängerungen bei einer Gesamtdauer von mehr als 8 Jahren vorliegen.

Die vorstehenden Voraussetzungen indizieren bei Vorliegen einen Rechtsmissbrauch. Der Arbeitgeber hat jedoch die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften.

In dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26.10.2016 zu Grunde liegenden Fall wurde das Vorliegen eines institutionellen Rechtsmissbrauchs verneint. Der Kläger war in der Zeit vom 15.10.2007 bis zum 7.2.2014 als Vertretungslehrer im Fach Sport an einem städtischen Gymnasium beschäftigt. Die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge war zwischen den Parteien streitig. Sie lag zwischen 16 und 20 befristeten Arbeitsverträgen. Entscheidungserheblich waren letztlich die Besonderheiten des Einzelfalls. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht maßgeblich auf das Schulhalbjahr als „branchentypische“ organisatorische Zäsur abgestellt. Daran anknüpfende komplexe Planungsvorgaben rechtfertigten es, den jeweiligen Vertretungsbedarf im Schulbereich nicht nur am voraussichtlichen Ende des Vertretungsbedarfs zu orientieren, sondern in erster Linie am Ende eines Schulhalbjahres auszurichten.

Hinweise von Rechtsanwältin Dr. Astrid Siebert:

Befristete Arbeitsverträge sind gerade im Schulbereich und im Bereich sonstiger Lehrtätigkeiten weit verbreitet. Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes sollte zum Anlass genommen werden, Arbeitsverhältnisse, in denen die von dem Bundesarbeitsgericht ausgegebenen Schwellen erreicht oder überschritten werden, einer Einzelfallüberprüfung zu unterziehen. Betroffene Arbeitnehmer sollten sich möglichst frühzeitig vor Auslaufen der Befristung informieren, um nicht unnötig unter Zeitdruck zu geraten. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Frist des § 17 TzBfG zur Erhebung einer Entfristungskontrollklage.

 

Gericht:

BAG

Datum:

26.10.2016

Aktenzeichen:

7 AZR 135/15