BAG: Strafhaft als Kündigungsgrund
Der Kläger war seit dem Jahr 1989 bei der Beklagten als Lagerarbeiter beschäftigt. Am 09.02.2006 wurde der Kläger an seinem Arbeitsplatz von der Polizei vorläufig festgenommen; ferner wurde auch sein Spind durchsucht. Bereits ab dem nächsten Tag erschien er wieder regelmäßig zur Arbeit.
Die Beklagte gewährte dem Kläger auf dessen Antrag für die Zeit ab dem 25.05.2007 Erholungsurlaub. Am 24.05.2007 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er ab dem 18. Juni 2007 eine Haftstrafe im Umfang von 2 Jahren und 6 Monaten anzutreten habe. Dazu sei er am 15.12.2006 verurteilt worden. Er habe Revision eingelegt, von deren Verwerfung er erst Mitte April 2007 erfahren habe. Der Kläger weigerte sich, der Beklagten das strafgerichtliche Urteil vorzulegen. Die Beklagte sprach mit Datum vom 31. Mai 2007 nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates gegenüber dem Kläger eine ordentliche Kündigung wegen „hoher und anhaltender Abwesenheitszeiten durch Freiheitsentzug“ aus.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und meinte, dass bei einem Großbetrieb wie dem der Beklagten mit Störungen des Betriebsablaufes auf Grund seiner Abwesenheitszeiten nicht zu rechnen sei. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhältnis langjährig beanstandungsfrei verlaufen sei.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht der dagegen gerichteten Berufung stattgegeben und die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt. Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichtes auf und stellt das arbeitsgerichtliche Urteil wieder her.
Das Bundesarbeitsgericht sieht die Kündigung durch Gründen in der Person des Klägers gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gerechtfertigt.
Als personenbedingter Grund für eine Kündigung kämen alle Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden Störquelle beruhten. Deshalb könne auch eine Freiheitsstrafe eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Das gelte allerdings nicht unabhängig von der Dauer und den Auswirkungen der Freiheitsstrafe.
Nur dann, wenn der Arbeitnehmer „für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen“, könnte eine personenbedingte Kündigung auf eine Haftstrafe gestützt werden. Darüber hinaus müsste sich die Nichterfüllung der Arbeitspflicht nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Schließlich sei eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei sei jeweils zu berücksichtigen, dass eine Haftstrafe – anders als bei einer Erkrankung des Arbeitnehmers – in der Regel vom Arbeitnehmer selbstverschuldet ist.
Für krankheitsbedingte Kündigungen gilt generell, dass es der Darlegung von Betriebsablaufstörungen nicht mehr bedarf, wenn der Arbeitnehmer auf Dauer an der Arbeitsleistung gehindert ist. Bei langanhaltenden Erkrankungen reicht es sogar aus, dass im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung völlig ungewiss ist, wann die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt werden kann bzw. ob mit ihr in absehbarer Zeit gerechnet werden kann. Dabei ist als „absehbare Zeit“ ein Zeitraum von bis zu 24 Monaten zu betrachten, da diese Zeitspanne durch die Einstellung einer sachgrundlos befristeten Ersatzkraft überbrückt werden kann.
Diese Grundsätze seien auf haftbedingte Arbeitsausfälle zwar nicht unmittelbar zu übertragen, da – anders als bei einer langanhaltenden Erkrankung – regelmäßig nicht ungewiss ist, wie lange der Mitarbeiter längstens an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert ist. Gleichwohl könne eine personenbedingte Kündigung „zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von 2 Jahren zu verbüßen ist und eine Entlassung vor Ablauf von 2 Jahren nicht sicher zu erwarten steht“ regelmäßig auf die Verbüßung der Haftstrafe gestützt werden.
Jedenfalls in einem solchen Fall bedürfe es der Darlegung konkreter Störungen des Betriebsablaufes durch das Fehlen des Arbeitnehmers nicht. Insbesondere sei es der Beklagten auch nicht zumutbar, zur Beseitigung einer solch langfristigen Störung bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, zumal die befristete Einstellung einer Ersatzkraft nur bis zur Höchstdauer von 24 Monaten auf eine sachgrundlose Befristung gestützt werden könne. Hinzukäme, dass eine vorzeitige Rückkehr des Arbeitnehmers aus der Haft bzw. entsprechende Vollzugslockerungen nicht vollständig ausgeschlossen werden könnten. Käme es zu solchen Vollzugslockerungen oder einer vorzeitigen Haftentlassung und erlange der Arbeitgeber davon erst spät Kenntnis, könnte dieses zur Folge haben, dass der Arbeitgeber sowohl den entlassenen Straftäter als auch die Ersatzkraft vergüten müsse.
Von einer kürzeren Haftzeit konnte die Beklagte auch deshalb nicht ausgehen, weil der Kläger keine Anhaltspunkte für Vollzugslockerungen durch die Gewährung von Freigang oder für einen Vollzugsplan mitgeteilt hat.
Auch die Interessenabwägung änderte an diesem Ergebnis nichts. So war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung weder ersichtlich, dass der Kläger in absehbarer Zeit einen Freigängerstatus erlangen würde. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, dem Kläger bei der Erlangung dieses Statuses zu unterstützen. Zwar sei eine solche Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers denkbar, diese sei aber ausgeschlossen, wenn die Beschäftigung des Freigängers für den Arbeitgeber mit Risiken verbunden sein könne. Das zu beurteilen sei der Beklagten nicht möglich gewesen, da der Kläger nicht bereit gewesen sei, der Beklagten Einsicht in das Strafurteil zu gewähren. Auch wenn eine Pflicht zur Offenbarung des Strafurteiles nicht generell bestünde, habe hier deshalb eine Obliegenheit bestanden, weil der Kläger im Betrieb vorläufig festgenommen und dort sein Spint untersucht worden war. Da der Kläger wegen Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt und zuvor im Betrieb selbst festgenommen und dort sein Spint durchsucht worden war, habe eine entsprechende Obliegenheit bestanden.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Kläger die Haftstrafe nicht nur selbst verschuldet, sondern die Beklagte erst unmittelbar vor seinem Urlaubsantritt über seinen bevorstehenden Haftantritt informierte. (BAG vom 25.11.2010 – 2 AZR 984/08)
2 AZR 984/08