BAG: Strafurteil kann Beweismittel in einem Kündigungsschutzprozess sein

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer Entscheidung vom 23.10.2014 mit der Frage zu befassen, ob und wenn ja, in welcher Weise, die Arbeitsgerichte bei Ermittlung des Kündigungssachverhalts die Feststellungen aus einem bereits vorliegenden Strafurteil "übernehmen" können.

Hintergrund bildete der Fall eines (ordentlich unkündbaren) Lehrers, der während des Unterrichts eine elfjährige Schülerin sexuell missbraucht haben soll. Die Anstellungskörperschaft hatte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos gekündigt.

Eine besondere Rolle spielte nun die Frage, ob die Arbeitsgerichte ohne eigene Beweisaufnahme von den Feststellungen im Strafurteil (Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes) ausgehen durften. Dies wurde vom Bundesarbeitsgericht – mit Einschränkungen – im vorliegenden Falle bejaht:

Zwar seien strafrichterliche Urteile und die darin enthaltenen Feststellungen für die Zivilgericht nicht bindend, doch könnten sie im Rahmen der sog. freien Beweiswürdigung (§ 286 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)) Berücksichtigung finden.

§ 286 Abs. 1 ZPO lautet:

"Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind."

Die Verwertung findet im Verfahren des Urkundenbeweises statt (§ 415 bis 417 ZPO).

Allerdings dürfe der Arbeitsrichter die Feststellungen aus dem Strafurteil nicht gleichsam automatisch übernehmen, sondern müsse sie durchaus kritisch hinterfragen. Sofern sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Feststellungen zweifelhaft sind und auch der Kläger – wie vorliegend – nicht die erneute Vernehmung der dortigen Zeugen beantragt, können im Ergebnis die strafgerichtlichen Feststellungen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden (BAG, Urt. v. 23.10.2014, Az. 2 AZR 865/13).

Hinweise von Rechtsanwalt Michael Kügler:

Ein von einer verhaltensbedingten Kündigung betroffener Arbeitnehmer, der gegen diese Kündigung in einem Kündigungsschutzverfahren vor den Arbeitsgerichten vorgeht, muss sich daher gut überlegen, welche Beweisanträge er im Falle eines bereits vorliegenden Strafurteils stellt.

Sofern er der Meinung ist, dass bei einer "Wiederholung" der strafgerichtlichen Beweisaufnahme vor den Arbeitsgerichten mit einer Verbesserung seiner Situation gerechnet werden kann, sollte er die erneute Vernehmung von Zeugen beantragen. Dies bedarf sorgfältiger Überlegung im Einzelfall.

Aktenzeichen:

2 AZR 865/13

2 AZR 865/13