BAG: Unwirksamkeit einer Kündigung aufgrund fehlerhafter Massenentlassungsanzeige

Fehlt es an der Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG oder an der Stellungnahme des Betriebsrates bei der Massenentlassungsanzeige entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, sind gleichwohl ausgesprochene Kündigungen unwirksam.

Die Klägerin war in einer deutschen Niederlassung der Beklagten, einer griechischen Luftfahrtgesellschaft, tätig. Die Beklagte stellte ihren Geschäftsbetrieb ein. Die zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Beklagten geführten Interessenausgleichsverhandlungen scheiterten im Dezember 2009. Der Sozialplan wurde am 04.12.2009 als Spruch der Einigungsstelle beschlossen. Die Beklagte ließ durch ihren Rechtsanwalt dem Betriebsrat ein Schreiben zur „Betriebsratsanhörung im Sinne des § 102 BetrVG“ und einer „Mitteilung im Sinne von § 17 Abs. 2 KSchG“ zukommen. Mit Schreiben vom 17.12.2009 erstattet die Beklagte zu 1. ferner bei der Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige, der eine Stellungnahme des Betriebsrates nicht beigefügt war. Mit Schreiben vom 24.12.2009 kündigte der Rechtsanwalt der Beklagten das Arbeitsverhältnis. Das Bundesarbeitsgericht hob die klageabweisende Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes auf. Die Kündigung war unwirksam. Das ergab sich aus verschiedenen Verstößen gegen § 17 KSchG.

  1. Die Beklagte hatte das nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren nicht durchgeführt. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:

    Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach Absatz 1 anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über 1. die Gründe für die geplanten Entlassungen, 2. die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, 3. die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, 4. den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, 5. die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, 6. die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien. Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.

    Das Konsultationsverfahren war nicht deshalb entbehrlich, weil der Betrieb stillgelegt wurde. Die Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung soll es dieser ermöglichen, konstruktive Alternativvorschläge zur Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassung zu entwickeln. Solange noch Verhandlungen mit einem Arbeitgeber möglich sind, wird das Verfahren damit nicht überflüssig. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist auch neben den Verfahren nach §§ 111 ff. BetrVG durchzuführen. Zwar können die verschiedenen Beteiligungsverfahren miteinander verbunden werden, soweit die Pflichten nach den unterschiedlichen Bestimmungen übereinstimmen. Das ist jedoch hier nicht erfolgt. Das Konsultationsverfahren hätte nicht mit dem Betriebsrat, sondern mit dem Gesamtbetriebsrat durchgeführt werden müssen. Der geplante Personalabbau sollte auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzeptes durchgeführt werden, sodass mehrere Betriebe betroffen waren. Sind aber mehrere Betriebe von einer Betriebsänderung, die nach einem einheitlichen Unternehmenskonzept durchgeführt wird, betroffen, kann nur auf der Ebene des Gesamtbetriebsrates den betriebsübergreifenden Zusammenhängen Rechnung getragen werden. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, mit dem Gesamtbetriebsrat ein solches ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren durchgeführt zu haben.

  2. Die Beklagte hat ihrer Massenentlassungsanzeige keine Stellungnahme des Betriebsrates beigefügt. Damit hat sie gegen ihre Verpflichtung aus § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG verstoßen. Das von der Beklagten der Massenentlassungsanzeige beigefügte Protokoll reicht zur Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen nicht aus, weil dem Protokoll keine abschließende Meinungsäußerung des Gesamtbetriebsrates zu entnehmen war. Die Voraussetzungen von § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG lagen ebenfalls nicht vor.

Beide Verstöße haben die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Wird ein Konsultationsverfahren überhaupt nicht durchgeführt, so hat das die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige zur Folge. Gleiches gilt, wenn der Massenentlassungsanzeige entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG keine Stellungnahme des Betriebsrates beigefügt war und auch die Voraussetzung von § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht erfüllt war. Die Mängel der Massenentlassungsanzeige können auch nicht dadurch geheilt werden, dass die Agentur für Arbeit die Fehler nicht bemerkt oder nicht beanstandet hat. Die ordnungsgemäße Erstattung der Massenentlassungsanzeige gehört nicht zum Regelungsinhalt eines Verwaltungsaktes der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG. Darüber hinaus wäre die Annahme einer Heilungsmöglichkeit fehlerhaft erstatteter Massenentlassungsanzeigen mit den Anforderungen des Unionsrechts nicht zu vereinbaren.(BAG vom 13.12.2012, 6 AZR 772/11; 6 AZR 773/11)