BAG: Vereinbarung über Fiktion einer Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer Maßnahme gem. § 99 BetrVG


Im Betrieb wurde mit Wirkung ab dem 01.12.2005 ein neues tarifliches Entgeltsystem eingeführt. Die Arbeitgeberin forderte den Betriebsrat mit Schreiben vom 09.11.2005 zur Zustimmung und zur Umgruppierung der betroffenen Beschäftigten auf der Grundlage des neuen Tarifvertrages auf. Die Betriebsparteien schlossen dann folgende Regelung:

  1. Es besteht Einvernehmen darüber, dass es erforderlich ist, die korrekte Eingruppierung der Mitarbeiter durch den Betriebsrat in jedem Einzelfall zu überprüfen. Da eine nachvollziehbare Überprüfung der Umgruppierungen bzw. Eingruppierungen innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen Frist nicht möglich ist, besteht Einvernehmen, dass die gesetzliche Stellungnahmefrist nach § 99 BetrVG bis zum 31. März 2006 verlängert wird.
  2. ….
  3. ….
  4. Sollte bis zum 31. März 2006 eine vollständige Beurteilung der korrekten Eingruppierung nicht möglich sein, erfolgt für die noch offenen Fälle eine Verlängerung der Frist bis zum 30. Juni 2006. Für die Fälle, die bis dahin nicht einvernehmlich geregelt werden, gilt die Zustimmung zur Eingruppierung als verweigert. Der Arbeitgeber wird dann die entsprechenden Zustimmungsersetzungsverfahren einleiten.

Die Betriebsparteien konnten sich bis zum 30. Juni 2006 nicht über sämtliche offenen Ein- und Umgruppierungen einigen und gingen übereinstimmend davon aus, dass entsprechend der in Nr. 4 getroffenen Regelung die Zustimmung des Betriebsrates als verweigert gilt, und einigten sich über die Durchführung eines Musterverfahrens zur Klärung der offenen Fälle. Die Arbeitgeberin leitete daraufhin ein Beschlussverfahren ein. In diesem vertrat sie die Auffassung, dass die Zustimmung des Betriebsrates als erteilt gelte, weil der Betriebsrat in den offenen Fällen seine Zustimmung nicht ausdrücklich verweigert habe.

Das Bundesarbeitsgericht hat der Arbeitgeberin im Ergebnis Recht gegeben. Der Betriebsrat hatte seine Zustimmung nicht ordnungsgemäß schriftlich unter Angabe von Gründen innerhalb der Frist verweigert. Eine solche Zustimmungsverweigerung war auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Parteien sich in Nr. 4 der Vereinbarung darüber geeinigt hatten, dass die Zustimmung zur Eingruppierung als verweigert gilt, wenn bis zum 30.06.2006 keine Einigung erzielt werden könne. Eine solche Vereinbarung überschreitet die Regelungskompetenz der Betriebsparteien. Zwar könnten die Betriebsparteien die Rechte des Betriebsrates erweitern, ihnen fehlt aber die Befugnis zu Eingriffen in das arbeitsgerichtliche Verfahren. Mit der von Ihnen in Nr. 4 der Vereinbarung geschaffenen Regelung würde aber auch in das arbeitsgerichtliche Verfahren eingegriffen werden. Im Falle der Verweigerung einer Zustimmung gem. § 99 BetrVG hat das Arbeitsgericht sich lediglich mit den Verweigerungsgründen auseinanderzusetzen, die vom Betriebsrat fristgerecht schriftlich innerhalb der Frist von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG vorgebracht wurden. Ein Nachschieben von Zustimmungsverweigerungsgründen nach Fristablauf ist regelmäßig unzulässig. Wenn die Betriebsparteien vereinbaren könnten, dass die Zustimmung zu einer Maßnahme gem. § 99 BetrVG als verweigert gilt, wenn der Betriebsrat sich nicht fristgerecht äußert, würde diese Regelung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens umgangen werden, weil das Arbeitsgericht sich dann mit sämtlichen in Betracht kommenden Kündigungsgründen auseinandersetzen müsste. Zu solch einem Eingriff in das arbeitsgerichtliche Verfahren sind die Betriebsparteien nicht befugt. Die Bestimmung von Nr. 4 Satz 2 der Vereinbarung, nach der die Zustimmung zur Eingruppierung als verweigert gilt, wenn bis zum 30.06.2006 keine Einigung erzielt werden konnte, war damit unwirksam.

Die Arbeitgeberin war auch nicht daran gehindert, sich auf die Unwirksamkeit zu berufen. Insbesondere bedurfte es eines entsprechenden Vorbringens der Arbeitgeberin nicht, da es sich insoweit nicht um eine Einrede der Arbeitgeberin handelt; vielmehr sind diese Umstände vom Gericht ohnehin zu berücksichtigen.(BAG vom 18.08.2009 – 1 ABR 49/08)

Hinweise von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto: Das Bundesarbeitsgericht konkretisiert mit dieser Entscheidung die Anforderungen an betriebliche Regelungen zu § 99 BetrVG. In verschiedenen Branchen kam es in den vergangenen Jahren zu Tarifwechseln, in deren Folge alle oder zumindest eine Vielzahl von Mitarbeitern umgruppiert werden mussten. Die gesetzlich vorgesehene Wochenfrist von § 99 BetrVG reicht den Betriebsparteien in solchen Fällen in aller Regel nicht aus. Deshalb haben Arbeitgeber und Betriebsräte verschiedene Wege gesucht, um die Frist des Betriebsrates zu verlängern.

Das BAG hat nunmehr entschieden, dass eine Regelung, nach der die Zustimmung des Betriebsrates als verweigert gilt, wenn bis zu einem bestimmten Termin keine Einigung erzielt werden kann, unzulässig ist. Bereits zuvor hatte das BAG entschieden, dass die Wochenfrist von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG zwar verlängert werden kann, es aber zur Wirksamkeit der Vereinbarung einer bestimmten oder bestimmbaren Frist bedarf. Wenn die Betriebsparteien die Frist von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG einvernehmlich verlängern wollen, muss dazu die Frist in einer bestimmten (z.B. 31.12.2011) oder bestimmbaren Weise (z.B. 3 Monate nach Einleitung des Anhörungsverfahrens) vereinbart werden.

Aktenzeichen:

1 ABR 49/08