BAG: Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüchen durch Ausschlussfrist
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage der Rechtswirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Verfallklausel vor dem Hintergrund der rechtzeitigen Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen zu befassen.
Folgender Sachverhalt liegt der Entscheidung zugrunde:
Die Klägerin war bei der beklagten Rechtsanwältin ab dem 07. Januar 2019 als Rechtsanwaltsfachangestellte an fünf Tagen in der Woche beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt insbesondere die folgenden Regelungen:
§ 5 Urlaub
- Der Urlaubsanspruch beträgt 24 Arbeitstage, wobei zur Berechnung des Urlaubsanspruchs die Arbeitswoche fünf Tage umfasst. Der Urlaub wird in Abstimmung mit dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange festgelegt. Urlaub ist grundsätzlich im jeweiligen Kalenderjahr zu nehmen. Der Urlaub ist grundsätzlich zusammenhängend zu nehmen.
- Nicht genommener Urlaub kann nur dann auf das folgende Kalenderjahr übertragen werden, wenn dringende betriebliche oder persönliche Gründe dies rechtfertigen. In diesem Fall ist der Urlaub bis zum 31.03. des Folgejahres zu nehmen. Bis zum 31.03. des Folgejahres nicht genommener Urlaub verfällt.
§ 15 Verfallfristen-/Ausschlussfristen
- Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner in Textform geltend gemacht werden und im Falle der Ablehnung durch den Vertragspartner innerhalb von weiteren drei Monaten eingeklagt werden. Hiervon unberührt bleiben Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen. Die Ausschlussfrist gilt nicht für den Anspruch eines Arbeitnehmers/in auf den gesetzlichen Mindestlohn. Über den Mindestlohn hinausgehende Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers unterliegen hingegen der vereinbarten Ausschlussfrist.
- Bleibt die Geltendmachung erfolglos, erlöschen sie, wenn der Anspruch nicht innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung gerichtlich anhängig gemacht wird.
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis zum 19.07.2019. Mit ihrer der Beklagten am 23.01.2020 zugestellten Klage hat die Klägerin die Abgeltung von insgesamt 24 Urlaubstagen verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch sei nicht erloschen, obwohl sie die Abgeltung erst nach der in § 15 des Arbeitsvertrages bezeichneten Frist verlangt hat. Die Verfallklausel sei intransparent und damit unwirksam.
Sowohl das erstinstanzliche Arbeitsgericht Mannheim als auch das zweitinstanzliche Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg haben die Klage abgewiesen, sodass nunmehr das Bundesarbeitsgericht im Wege der Revision zu entscheiden hatte.
Die Vereinbarung von Ausschlussfristen entspreche einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben und sei dadurch keineswegs als eine überraschende oder ungewöhnliche Regelung zu verstehen. Insbesondere wurde vorliegend durch die verwendeten Überschriften eine Hervorhebung vorgenommen, so das BAG.
Wegen der weitreichenden Folgen von Ausschlussfristen muss aus der Verfallklausel, wenn diese dem Transparenzgebot genügen soll, ersichtlich sein, welche Rechtsfolgen der Vertragspartner des Verwenders zu erwarten hat und was er zu tun hat, um deren Eintritt zu verhindern. Eine Klausel, die die Rechtslage unzutreffend oder missverständlich darstellt und auf diese Weise dem Verwender ermöglicht, begründete Ansprüche unter Hinweis auf die in der Klausel getroffene Regelung abzuwehren, und die geeignet ist, dessen Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abzuhalten, benachteiligt den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist damit grundsätzlich unwirksam. Bei der Beurteilung, ob eine Regelung dem Transparenzgebot genügt, ist nicht auf den flüchtigen Betrachter, sondern auf den aufmerksamen und sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr abzustellen. Dem Vertragspartner kann nicht jedes eigene Nachdenken erspart bleiben. Durch eine allzu detaillierte Regelung könnten unübersichtliche oder nur schwer durchschaubare Klauselwerke entstehen, die den Interessen des Vertragspartners zuwiderlaufen.
Eine solche Intransparenz sei nicht aus dem parallelen Bestehen der Regelungen in § 5 und § 15 des Arbeitsvertrages abzuleiten. Denn die Auslegung des Vertrags nach dem anzuwendenden abstrakt-generellen Prüfungsmaßstab ergebe, dass für den Urlaubsanspruch die Sonderregelung in § 5 Abs. 2 des Arbeitsvertrags die allgemeine Ausschlussklausel in § 15 Abs. 1 des Arbeitsvertrags als speziellere Regelung verdrängt. Ein aufmerksamer und sorgfältiger Arbeitnehmer muss auch ohne gesonderte Erwähnung der Urlaubsansprüche in § 15 Abs. 1 des Arbeitsvertrags davon ausgehen, dass Urlaubsansprüche allein innerhalb der in § 5 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vorgesehenen Fristen geltend zu machen seien, ohne dass die allgemeine Ausschlussfrist des § 15 Abs. 1 des Arbeitsvertrags zu beachten sei. Aber auch ohne eine entsprechende vertragliche Regelung erschließt es sich für einen aufmerksamen und sorgfältigen Arbeitnehmer ohne weiteres, dass er seinen Anspruch auf den ihm in jedem Kalenderjahr zustehende bezahlten Erholungsurlaub nicht in den ersten drei Monaten des Urlaubsjahrs in Textform geltend machen muss, um ihn vor einem Verfall zu bewahren, sondern dass er ihn – zumindest – im gesamten Urlaubsjahr verlangen kann.
Hingegen ist der Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung aus § 7 Abs. 4 BUrlG ist nach § 15 Abs. 1 des Arbeitsvertrags mit Ablauf des 19.10.2019 erloschen. Die Klägerin hat die vertragliche dreimonatige Ausschlussfrist mit Klageeinreichung vom 16.01.2020 und Zugang der Klageschrift bei der Beklagten am 23.01.2020 nicht gewahrt. Die Revision war damit zurückzuweisen.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
Die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt deutlich, dass bei Urlaubsansprüchen zwischen dem originären Anspruch auf Gewährung von Erholungsurlaub und dem finanziellen Abgeltungsanspruch wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu differenzieren ist. Denn der Abgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG kann als reiner Geldanspruch grundsätzlich Ausschlussfristen unterliegen. Dem steht – in Abweichung zur Inanspruchnahme von Erholungsurlaub im laufenden Arbeitsverhältnis – nicht der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs entgegen.
Gericht:
BAG
Aktenzeichen:
9 AZR 461/21
Datum der Entscheidung:
24.05.2022