BAG: Verjährung von Urlaubsansprüchen

Ansprüche eines Arbeitnehmers auf gesetzlichen Mindesturlaub unterliegen der gesetzlichen Verjährung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt jedoch erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.  

Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 20.12.2022 (9 AZR 266/20) entschieden. Ansprüche auf gesetzlichen Mindesturlaub verfallen weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG) noch kann der Arbeitgeber einwenden, dass nicht gewährter Mindesturlaub während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt.  

Vorangegangen war ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts an den Europäischen Gerichtshof. Mit Datum vom 22.09.2022 (C-120/21) hat der EuGH daraufhin entschieden, dass der Zweck der Verjährungsvorschriften, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, in der vorliegenden Fallkonstellation hinter dem Ziel von Art. 31 II der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zurückstehe, die Gesundheit des Arbeitnehmers durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme zu schützen. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auszuüben. Der Arbeitgeber könne die Rechtssicherheit gewährleisten, indem er seine Obliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer nachhole. 

In dem Sachverhalt klagte eine Arbeitnehmerin auf Zahlung von Urlaubsabgeltung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsverhältnis bestand vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017. Die Klägerin war als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin bei der Beklagten beschäftigt. Die Klägerin machte mit der am 6. Februar 2018 erhobenen Klage die Abgeltung von 101 Urlaubstagen geltend.  

 

 

Hinweise von Rechtsanwältin Dr. Astrid Dotting:

Für einen Anspruch auf vertraglichen Mehrurlaub gelten diese Grundsätze entsprechend, sofern für diese keine eigenständigen Regelungen vereinbart wurden.  

Arbeitgeber sind zur Erlangung von Rechtssicherheit gehalten, noch bestehende und bereits gewährte Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern sowie die Erfüllung einschließlich Art und Zeitpunkt der Hinweis- und Aufforderungspflichten sorgfältig zu dokumentieren. Anderenfalls können erhebliche Nachforderungen drohen, für die ggf. Rückstellungen zu bilden sind. 

Zu unterscheiden ist weiterhin zwischen Urlaubsansprüchen und Urlaubsabgeltungsansprüchen. Urlaubsabgeltungsansprüche entstehen mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und unterliegen der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist (§§ 195, 199 BGB). Ob auch an die Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen erhöhte Anforderungen zu stellen sind, war nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung. Da die Hinweis- und Aufforderungspflichten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nachgeholt werden können, wäre dies zumindest nicht mehr von der Kernargumentation des EuGH in der Entscheidung über die Vorlagefrage umfasst. Sicher wird man diese Frage jedoch erst beantworten können, sobald auch diese Frage ggf. durch den EuGH entschieden worden ist. 

 

 Gericht: 

BAG

Aktenzeichen: 

9 AZR 266/20

Datum der Entscheidung: 

20.12.2022