BAG verschärft Anforderungen an Massenentlassungsanzeige
Die Arbeitgeberin beschäftigte zuletzt etwa 544 Arbeitnehmer, davon 445 im Betrieb L, in dem der Kläger tätig war. Am 24.02.2009 schloss die Arbeitgebrin mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste. Unter den darin zur Kündigung benannten Arbeitnehmern befand sich auch der Kläger.
Am 25.02.2009 zeigte die Arbeigeberin auf dem Vordruck der Agentur für Arbeit die Massenentlassung von 37 Arbeitnehmern an, u.a. auch die des Klägers. Diese Massenentlassungsanzeige ging am 26.02.2009 um 11:48 Uhr bei der zuständigen Agentur für Arbeit ein. Am selben Tag um 17:00 Uhr erreichte die Agentur für Arbeit ein von der Vorsitzenden des Betriebsrats der Schuldnerin unterzeichnetes Schreiben vom 26. Februar 2009. Darin heißt es unter dem Betreff „Anzeige von Entlassungen“ lediglich:
Der Betriebsrat … wurde darüber informiert, dass ein Antrag auf Entlassungen gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz an die Agentur für Arbeit gesendet wurde.“
Ebenfalls am selben Tag wurde per Telefax ein Interessenausgleich an die zuständige Agentur für Arbeit übermittelt. Dieser betraf allerdings nicht die Arbeitgeberin, sondern eine andere Konzerntochter und war von der anderen Konzerntochter mit ihrem Betriebsrat der anderen Konzerntochter vereinbart.
Die Agentur für Arbeit teilte der Arbeitgeberin mit Schreiben vom 26.02.2009 mit:
Ihre o. g. Anzeige ist hier am 26.02.2009 eingegangen. Damit beginnt die in § 18 Abs. 1 KSchG festgesetzte Frist von einem Monat am 27.02.2009 und endet am 26.03.2009 (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Innerhalb dieser Frist werden Kündigungen nur mit Zustimmung des in § 20 KSchG bezeichneten Entscheidungsträgers wirksam. (…)
Schließlich wurde gegenüber dem Kläger am 11.03.2009 eine ordentliche Kündigung zum 30.06.2009 ausgesprochen.
Der Kläger hält diese Kündigung für unwirksam. Zur Begründung verweist er auch auf das Fehlen einer Stellungnahme des Betriebsrats zur Anzeige der Massenentlassung und hat Kündigungsschutzklage erhoben. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben, weil keine wirksame Massenentlassungsanzeige vorliege. Die gegen das Urteil des LAG gerichtete Revision wurde vom Bundesarbeitsgericht (BAG) zurückgewiesen.
Die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung ist nach der Entscheidung des BAG unwirksam. Es hätte zur Wirksamkeit der Kündigung gem. § 17 KSchG einer Massenentlassungsanzeige bedurft. Dazu regelt § 17 Abs. 3 KSchG:
(3) Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muß zumindest die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Anzeige nach Absatz 1 ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt.
Der Beklagte hat nicht dargelegt, dass die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG erfüllt waren. Das Arbeitsverhältnis der Parteien konnte deshalb durch die Kündigung des Beklagten vom 11. März 2009 nicht aufgelöst werden.
- Wie das BAG nochmals betont hat, ist die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige. Der Arbeitgeber hatte aber seiner Anzeige der Massenentlassung keine Stellungnahme des Betriebsrates beigefügt. Auch das an die Agentur für Arbeit gerichtete Schreiben des Betriebsrats vom 26. Februar 2009 genügte den an eine Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu stellenden Anforderungen nicht.
Nicht jede Äußerung des Betriebsrats stelle eine ausreichende Stellungnahme im Sinne von § 17 Abs. 3 KSchG dar. Eine Stellungnahme des Betriebsrats müsse erkennen lassen, ob und welche Möglichkeiten dieser sieht, die Kündigungen zu vermeiden. Ferner muss dadurch belegt werden, dass der Arbeitgeber soziale Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten und ggf. vereinbart hat. Es müsse auch sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber eine ihm ungünstige Stellungnahme des Betriebsrats der Arbeitsverwaltung nicht verschweigen könne. Deshalb sei eine Äußerung des Betriebsrats nur dann als ausreichende Stellungnahme zu betrachten, wenn die o.g. Voraussetzungen erfüllt sind und die Äußerung eine abschließende Meinungsäußerung des Betriebsrats zu diesen Kündigungen enthält
Diesen Anforderungen genügte das Schreiben des Betriebsrats vom 26.02.2009 nicht. Vielmehr beschränkte sich das Schreiben auf die Mitteilung, dass der Betriebsrat über die Stellung eines Antrags auf Entlassungen gemäß § 17 KSchG an die Agentur für Arbeit informiert worden sei. - Die Stellungnahme war auch nicht deshalb entbehrlich, weil ein Interessenausgleichs mit Namensliste vereinbart wurde. Der Agentur für Arbeit ist kein für die Arbeitgeberin geltender Interessenausgleich mit Namensliste zugeleitet worden. Der tatsächlich übersandte Interessenausgleich betraf eine andere Konzerntochter.
- Die Arbeitgeber hätte zwar gem. § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG die Möglichkeit gehabt, eine wirksame Massenentlassungsanzeige auch ohne Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats zu erstatten. Dazu hätte die Arbeitgeberin aber glaubhaft machen müssen, daß sie den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat. Ferner hätte sie den Stand der Beratungen darlegen müssen. Beides hat die Arbeitgeberin aber nicht getan.
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Die Arbeitgeberin konnte sich schließlich auch nicht darauf berufen, dass die Arbeitsverwaltung die Massenentlassungsanzeige nicht beanstandet, sondern eine Entlassungssperre festgesetzt habe. Der Bescheid der Agentur für Arbeit nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG hindert die Feststellung der Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige durch die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht. Diese Mitteilung der Argentur für Arbeit stelle lediglich eine Information, nicht aber einen Verwaldtungsakt dar.
Der später ergangene Bescheid der Arbeitsverwaltung gemäß § 18 Abs. 1 KSchG über die Abkürzung der Sperrfrist entfaltet keine materielle Bestandskraft, sondern wirkt gem. § 43 VwVfG nur gegenüber den Adressaten und den Betroffenen, denen er bekannt gegeben ist. Dazu gehört die Arbeitgeberin, nicht aber die Arbeitnehmer.
Wie das BAG in Abänderung seiner bisherigen Rechtsprechung urteilte, hat ein solcher Bescheid auch keine Bindung der Arbeitsgerichtsbarkeit zur Folge. Vielmehr beschränke sich die Bindungswirkung des Bescheids der Agentur für Arbeit nach § 20 KSchG auf den den eigentlichen Inhalt dieses Bescheids, nämlich die Dauer der Sperrfrist und den Zeitpunkt ihres Ablaufs oder die Genehmigung, Entlassungen vor Ablauf der Sperrfrist vorzunehmen. Sie erstreckt sich hingegen nicht auf die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige selbst.
6 AZR 780/10
6 AZR 780/10