BAG: Weite Auslegung der Begriffe „Arbeitnehmerin“ und „Arbeitnehmer“ im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG

Das BAG hatte sich mit dem Begriff der „Arbeitnehmerin“ bzw. dem „Arbeitnehmer“ im Anwendungsbereich des Entgelttransparenzgesetzes zu befassen. Folgender Sachverhalt lag zugrunde: Die Klägerin ist für die Beklagte – eine Fernsehanstalt des öffentlichen Rechts – seit 2007 als Redakteurin tätig. Zunächst kam sie als Online-Redakteurin auf der Grundlage befristeter Verträge zum Einsatz. Seit Juli 2011 befindet sie sich in einem unbefristeten Vertragsverhältnis, nach dem sie “bis auf weiteres” als freie Mitarbeiterin gemäß einem bei der Beklagten geltenden Tarifvertrag beschäftigt wird und eine Tätigkeit als “Redakteurin mit besonderer Verantwortung” ausübt. Aufgrund rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts steht fest, dass die Klägerin nicht Arbeitnehmerin im Sinne des innerstaatlichen Rechts ist. Mit Schreiben vom 01.08.2018 begehrte die Klägerin vom Personalrat Auskunft nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG. Dieser antwortete nach Rücksprache mit der Personalabteilung der Beklagten, dass die Klägerin als freie Mitarbeiterin nicht unter das Entgelttransparenzgesetz falle und deshalb keinen Auskunftsanspruch habe.

Das Landesarbeitsgericht hat die gegen die Beklagte gerichteten Klageanträge auf Erteilung von Auskunft über (1.) die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung und (2.) über das Vergleichsentgelt abgewiesen. Es hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Klägerin nicht Arbeitnehmerin im Sinne des innerstaatlichen Rechts und als arbeitnehmerähnliche Person nicht Beschäftigte im Sinne des § 5 Abs. 2 EntgTranspG sei, weshalb sie keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Auskünfte habe.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Klägerin kann von der Beklagten nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG Auskunft über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung verlangen, da sie als freie Mitarbeiterin der Beklagten “Arbeitnehmerin” im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG und damit Beschäftigte im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 EntgeltTranspG ist. Die Begriffe “Arbeitnehmerin” und “Arbeitnehmer” in § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG sind, so das BAG, unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit dem Arbeitnehmerbegriff der Richtlinie 2006/54/EG weit auszulegen, da es andernfalls an einer Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit im deutschen Recht fehlen würde. Eine – zwingend erforderliche – ausreichende Umsetzung ist bislang weder im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch ansonsten erfolgt. Erst das Entgelttransparenzgesetz enthält Bestimmungen, die auf die Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG zur Entgeltgleichheit gerichtet sind. Ob die Klägerin gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Erteilung von Auskunft über das Vergleichsentgelt hat, konnte der Senat aufgrund der bislang vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht entscheiden. Insoweit hat der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Das Ziel des Entgelttransparenzgesetzes besteht darin, das Gebot des gleichen Entgelts für Frauen und Männern bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen (§ 1 EntgTranspG). Das Gesetz soll damit die unmittelbare und mittelbare Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts beseitigen. Es handelt sich hierbei um ein noch „jungfräuliches“ Gesetz, das erst am 06.07.2017 in Kraft getreten ist. Vor diesem Hintergrund ist die vorbezeichnete Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu begrüßen und schafft Klarheit hinsichtlich der vom Gesetz verwendeten allgemeinen Begriffsbestimmungen. Das Entgelttransparenzgesetz wird das BAG sicherlich auch künftig noch beschäftigen. So ist insbesondere bislang nicht geklärt, ob § 12 Abs. 1 EntgTranspG, wonach der individuelle Auskunftsanspruch des § 10 nur für Beschäftigte in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber besteht, die Anwendung eines Entgelttransparenzgesetz-eigenen Betriebsbegriff vorsieht oder vielmehr auf den Betriebsbegriff zurückzugreifen ist, der im Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes entwickelt worden ist. Die Entscheidung des BAG (8 AZR 145/19) liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 17/20 vor.

 

Gericht:

BAG

Datum der Entscheidung:

25.06.2020

Aktenzeichen:

8 AZR 145/19