BAG: Will der Arbeitgeber Regelungen über Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit einführen, so hat der örtliche Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitzubestimmen.

Die Arbeitgeberin hatte mit dem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung über eine Allgemeine Arbeitsordnung vereinbart. In der Bestimmung von § 9 dieser Gesamtbetriebsvereinbarung fanden sich unter anderem folgende Regelungen:

§ 9 Vorübergehende Nichtleistung der Arbeit

(3) Grundsätzlich hat jeder erkrankte Mitarbeiter für jeden vollen Arbeitstag, d.h. ab dem ersten vollen Krankheitstag, eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Die Bescheinigung muss spätestens am dritten Krankheitstag beim Arbeitgeber vorliegen und ist an die zuständige Personalabteilung oder den unmittelbaren Vorgesetzten bzw. bei dessen Verhinderung an den vom Arbeitgeber zu benennenden Stellvertreter zu adressieren.

(4) Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung angegeben, so ist unverzüglich eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen.

Der Betriebsrat sah sein Mitbestimmungsrecht verletzt, weil er sich und nicht den Gesamtbetriebsrat für zuständig hielt. Daraufhin leitete die Arbeitgeberin ein Beschlussverfahren ein, um feststellen zu lassen, dass die Bestimmungen von § 9 Abs. 3 u. 4 der Gesamtbetriebsvereinbarung Anwendung finden.
Das Arbeitsgericht Hamburg gab dem Antrag der Arbeitgeberin statt; das Landesarbeitsgericht hob die Entscheidung des Arbeitsgerichtes auf und wies die Anträge der Arbeitgeberin ab. Die dagegen erhobene Rechtsbeschwerde blieb vor dem Bundesarbeitsgericht erfolglos.
Die Bestimmung von § 5 Abs. 1 EntgFG verpflichtet den Arbeitnehmer im Falle einer Arbeitsunfähigkeit, die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauert, hat der Arbeitnehmer spätestens am darauffolgenden Arbeitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Allerdings ist der Arbeitgeber gemäß § 5 Abs. 1 S. 3 EntgFG berechtigt, die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits früher zu verlangen. Die Arbeitgeberin meinte deshalb, frei über das „Ob“ eines solchen Verlangens entscheiden zu können und den Betriebsrat dann nur noch bei dem „Wie“ des Verfahrens zu beteiligen. Deshalb könne sie sich aussuchen, argumentierte die Arbeitgeberin, ob sie sich bei der Ausübung des Mitbestimmungsrechtes an den Gesamtbetriebsrat oder den Betriebsrat wenden wolle. Darüber hinaus sei es zweckmäßig, eine solche Vereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat abzuschließen, um eine unternehmensweit einheitliche Regelung zu erzielen.

Diese Argumentation wurde vom Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen. Bereits der Ansatzpunkt der Arbeitgeberin ist unzutreffend. Nach der Bestimmung von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat nicht nur beim „Wie“, sondern auch beim „Ob“ mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber gemäß § 5 Abs. 1 S. 3 EntgFG die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung bereits vor dem in § 5 Abs. 1 S. 2 EntgFG genannten Zeitpunkt verlangen will.

Dafür ist auch der Betriebsrat und nicht der Gesamtbetriebsrat zuständig. Da der Betriebsrat den Gesamtbetriebsrat nicht gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG mit dem Abschluss der Betriebsvereinbarung beauftragt hatte, konnte sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates nur aus der Bestimmung von § 50 Abs. 1 BetrVG ergeben. Diese hat folgenden Wortlaut:

§ 50 BetrVG (Zuständigkeit)

(1) Der Gesamtbetriebsrat ist zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können; seine Zuständigkeit erstreckt sich insoweit auch auf Betriebe ohne Betriebsrat. Er ist den einzelnen Betriebsräten nicht übergeordnet.

In diesem Fall betraf die Angelegenheit zwar mehrere Betriebe, die einzelnen Betriebsräte waren aber durchaus in der Lage, diese Angelegenheit selbst zu regeln. Auch das Interesse an der Schaffung einheitlicher Arbeitsbedingungen im Unternehmen, begründet nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes nicht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates, da es sich hierbei lediglich um eine „reine Zweckmäßigkeitserwägungen“ handelt, die für die rechtliche Beurteilung unbeachtlich ist.
(BAG vom 23.08.2016 – 1 ABR 43/14)