BAG: Wirksame Wahl einer Filialleiterin zum Betriebsratsmitglied

Das BAG hatte über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl zu entscheiden, mit der die Filialleiterin eines Einzelhandelsunternehmens zum Betriebsratsmitglied gewählt wurde. 

Die Arbeitgeberin betreibt ein Einzelhandelsunternehmen mit bundesweit 58 Filialen, in denen jeweils zwischen fünf und zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. Die Filialen werden jeweils durch einen „Store-Manager“ (Filialleiter) geleitet und sind insgesamt sieben „District-Managern“ (Bezirksleitern) zugeordnet. Für sämtliche Filialen der Arbeitgeberin ist eine am Hauptsitz der Arbeitgeberin angesiedelte Personalabteilung zuständig, bei der u.a. die Personalakten der Arbeitnehmer geführt werden und die Vergütung abgerechnet wird.  

In der Filiale D., für die das Arbeitsgericht Hamburg bereits zuvor rechtskräftig festgestellt hatte, dass sie gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG eine eigenständige betriebsratsfähige Organisationseinheit darstellt, waren zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl im Dezember 2019 Frau B. als Filialleiterin und weitere fünf Arbeitnehmer beschäftigt. Frau B., die auch bereits Mitglied des Wahlvorstandes war, wurde in den aus einem Mitglied bestehenden Betriebsrat gewählt.  

Die Arbeitgeberin hat die Betriebsratswahl angefochten und machte geltend, dass diese unwirksam sei, da Frau B. leitende Angestellte sei und daher weder Mitglied des Wahlvorstandes habe sein dürfen noch wahlberechtigt bzw. wählbar sei.  

 Das BAG hält den Wahlanfechtungsantrag der Arbeitgeberin für unbegründet, da im Rahmen der Betriebsratswahl nicht gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden sei. Zwar dürfen leitende Angestellte nicht zum Mitglied des Wahlvorstandes bestellt werden und sind auch nicht aktiv oder passiv wahlberechtigt. Frau B. sei jedoch keine leitende Angestellte i. S. d. § 5 Abs. 3 BetrVG.  

Leitender Angestellter ist nach § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG, wem nach dem Arbeitsvertrag und der Stellung im Unternehmen oder Betrieb eine eigenständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis zukomme. Unschädlich sei hierbei, dass die Arbeitsverträge neu einzustellender Mitarbeiter sowie Kündigungen von der Personalabteilung erstellt und von der in der Personalabteilung beschäftigten Personalleiterin unterzeichnet worden seien. Die selbstständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis müsse zwar sowohl im Außenverhältnis gegenüber den Arbeitnehmern als auch im Innenverhältnis gegenüber der Arbeitgeberin bestehen. Insoweit sei jedoch nicht darauf abzustellen, ob der Beschäftigte durch die eigenhändige Unterzeichnung von Arbeitsverträgen und Kündigungen die Verantwortung für diese übernimmt, sondern vielmehr auf seine vertretungsrechtlichen Befugnisse in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Da Frau B. nach ihrem Arbeitsvertrag sowohl die Rekrutierung von Mitarbeitern einschließlich der Entscheidung über die Einstellung oder Absage sowie die Entscheidung über die Entlassung von Mitarbeitern oblag und eine Einschränkung dieser Befugnisse weder im Innen- noch im Außenverhältnis ersichtlich sei, sei im Grundsatz von einer eigenständigen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis der Frau B. auszugehen. 

Dem stehe auch nicht entgegen, dass Frau B. bei der Einstellung neuer Mitarbeiter den von der Arbeitgeberin vorgegebenen Stellenplan sowie die Budgetvorgaben des Unternehmens habe beachten müssen, da hierin nach der Rechtsprechung des BAG keine Begrenzung der selbstständigen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis zu erblicken sei. 

Allerdings fehle es an der erforderlichen unternehmerischen Relevanz der Frau B. zustehenden selbstständigen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis. Frau B.´s Personalkompetenz beziehe sich lediglich auf fünf Arbeitnehmer in einer von insgesamt 58 Filialen und damit nur auf eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern. Darüber hinaus erstrecke sich die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis auch nicht auf einen für das Unternehmen qualitativ bedeutsamen Personenkreis, wie etwa Mitarbeiter mit hochqualifizierten Tätigkeiten und entsprechenden Entscheidungsspielräumen. Allein aus dem Umstand, dass sich die Personalkompetenz auf sämtliche Mitarbeiter eines nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG als eigenständigen Betrieb geltenden Betriebsteils, hier der Filiale D., beziehe, folge keine besondere unternehmerische Bedeutung der Personalkompetenz. 

 

Hinweise von Rechtsanwältin Claudia Tasch-Dreiling:

Mit seiner Entscheidung betont das BAG erneut die strengen Anforderungen, die das Gesetz an einen Beschäftigten stellt, der als leitender Angestellter dem Lager des Arbeitgebers zugeordnet und damit aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes herausgenommen werden soll. Allein eine selbstständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis (§ 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG) bzw. eine Prokura oder Generalvollmacht (§ 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG) genügt für die Qualifikation als leitender Angestellter nicht. Legt man den § 5 Abs. 3 BetrVG nach seinem Sinn und Zweck aus, muss stets auch § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG beachtet werden, nach dem eine besondere unternehmerische Relevanz der Entscheidungs- bzw. Vertretungsbefugnisse hinzutreten muss, um eine herausgehobene Stellung als leitender Angestellter begründen zu können. Dies gelte, so das BAG, auch bei der Einordnung als leitender Angestellter nach den Nr. 1 und 2, wenngleich hier ein direkter wörtlicher Verweis auf die besondere unternehmerische Relevanz nicht formuliert ist. 

Dabei hat das BAG die spannende Frage offengelassen, ob im Falle des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG die besondere unternehmerische Relevanz immer schon dann vorliegt, wenn sich die selbstständige Einstellungs- und Entlassungsbefugnis nicht nur – wie im vorliegenden Fall – auf sämtliche Arbeitnehmer eines nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG als eigenständige betriebsratsfähige Organisation geltenden Betriebsteil bezieht, sondern auf sämtliche Arbeitnehmer eines Betriebs i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Von einigen Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur wird in solchen Fällen die erforderliche unternehmerische Relevanz der Personalkompetenz ohne Weiteres bejaht.  

 

 

 

Gericht: 

BAG 

Aktenzeichen: 

7 ABR 14/21

Datum der Entscheidung: 

04.05.2022