BAG: Zulässigkeit einer Kappungsgrenze im Sozialplan
Höchstbetragsklauseln (Kappungsgrenzen) für Abfindungen in Sozialplänen können nach Auffassung des BAG eine mittelbare Benachteiligung lebensälterer Beschäftigter i.S.v. § 3 Abs. 2 AGBG darstellen. Als solche können solche Höchstbetragsklauseln rechtmäßig sein, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sind.
Der 1972 geborene und gegenüber zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Arbeitnehmer war über einen Zeitraum von 25 Jahren bei seiner Arbeitgeberin beschäftigt. Das Gehalt belief sich zuletzt auf monatlich 7.795,49 EUR brutto.
Das Arbeitsverhältnis endete aus betrieblichen Gründen wegen der Schließung des Betriebes. Im Sozialplan war vereinbart, dass eine Grundabfindung in folgender Höhe gezahlt wird:
“Bruttomonatsentgelt x Betriebszugehörigkeit x 1,45 = Abfindung brutto”
Gleichzeitig wurde vereinbart:
„Die Höhe der Grundabfindung (…) ist auf einen Betrag von 230.000 EUR brutto (Abfindungsobergrenze) begrenzt. Darüber hinausgehende, sich rechnerisch ergebende Beträge werden gekappt.“
Im Hinblick auf die Betriebszugehörigkeit von 25 Jahren und das Bruttomonatsgehalt von 7.795,49 EUR hätte der Arbeitnehmer eine Grundabfindung in Höhe von über 280.000 EUR brutto zu beanspruchen gehabt. Aufgrund der im Sozialplan vereinbarten Kappungsgrenze zahlte die Arbeitgeberin jedoch lediglich eine Grundabfindung i.H.v. 230.000 EUR. Deshalb verlangte der Arbeitnehmer die Zahlung des Restbetrags von der Arbeitgeberin.
Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Ansinnen zurückgewiesen. Zunächst stellt das Bundesarbeitsgericht fest, dass die Vereinbarung einer Höchstbetragsklausel keine unmittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer darstelle, weil die Regelung nicht an das Alter der Arbeitnehmer anknüpfe. Allerdings sei diese Regelung geeignet, ältere Arbeitnehmer in besonderer Weise zu benachteiligen. Gleichwohl liege keine mittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG vor.
Die Bestimmung von § 3 Abs. 2 AGG hat folgenden Wortlaut:
„(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“
Das Bundesarbeitsgericht stellt zunächst fest, dass die Begrenzung der Abfindung auf höchstens 230.000 EUR Arbeitnehmer mit einem höheren Lebensalter in besonderer Weise benachteiligen könne; jüngere Arbeitnehmer können eine darüber hinausgehende Abfindung nur selten erreichen und die Sozialplanabfindung fällt um so höher aus, je länger die Betriebszugehörigkeit war. Eine lange Betriebszugehörigkeit setzt aber immer auch ein gewisses Lebensalter voraus.
Allerdings sei gleichwohl keine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG gegeben, weil die Vereinbarung der Höchstbetragsklausel durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sind.
Das mit der Höchstbetragsklausel verfolgte Ziel der Verteilungsgerechtigkeit sei ein objektives Ziel, das nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Lebensalters zu tun habe. Sozialplanmittel seien begrenzt und mit der Vereinbarung einer Höchstbetragsklausel sollten möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe gewährt werden.
Die Höchstbetragsklausel stelle auch ein geeignetes Mittel dar, um dieses Ziel zu erreichen. Durch die Festlegung der Obergrenze wird der aufgrund der Abfindungsformel anderenfalls eintretende erhebliche Anstieg der Abfindung für ältere Arbeitnehmer mit langer Betriebszugehörigkeit verhindert und dadurch werde gewährleistet, dass auch für die übrigen Arbeitnehmer noch hinreichende Mittel für Sozialplanabfindungen zur Verfügung stehen. Da dieses Ziel durch anderweitige Maßnahmen auch nicht mit „gleicher Genauigkeit“ erreicht werden könne sei die Höchstbetragsklausel auch erforderlich, um das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit zu erreichen. Hätten die Parteien auf eine solche Höchstbetragsklausel verzichtet, so wäre bei einem gleichen Dotierungsrahmen ein geringerer Multiplikationsfaktor als 1,45 zu vereinbaren gewesen, sodass lebensjüngere Beschäftigte mit einer kürzeren Betriebszugehörigkeit eine geringere Abfindung erhalten hätten.
Eine Begrenzung der Sozialplanabfindung auf den Betrag von höchstens 230.000 EUR sei schließlich auch angemessen. Die Zahlung einer Abfindung diene nicht einer zusätzlichen Honorierung der Betriebszugehörigkeit, sondern solle die zukünftig voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen ausgleichen oder abmildern. Ein Betrag i.H.v. 230.000 EUR sei erkennbar geeignet, die Nachteile der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer auszugleichen. Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass es andere Gründe gebe, die zu einer Unangemessenheit der Höchstbetragsklausel führten.
Hinweise von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto :
Das Bundesarbeitsgericht hat in der Vergangenheit bereits deutlich niedrigere Höchstbeträge als 230.000,00 EUR als rechtmäßig erklärt. Instruktiv ist aber, wie das Bundesarbeitsgericht die Zulässigkeit der Höchstbetragsklausel anhand der Kriterien von § 3 Abs. 2 AGG misst. Damit stellt die Entscheidung einen hilfreichen Hinweis für Sozialplanverhandlungen dar.
Bei Sozialplanverhandlungen geht es der Arbeitgeberseite regelmäßig um das von ihr zu zahlende Gesamtvolumen aller Abfindungen. Der Betriebsrat zielt im Regelfall auf eine Ausweitung des Gesamtvolumens und eine möglichst gerechte Verteilung. Die klassischen Abfindungsformeln, bei denen die Höhe der Abfindung auch von der Länge der Betriebszugehörigkeit abhängt, führen dabei regelmäßig dazu, dass Beschäftigte mit hohen Monatsgehältern und langer Betriebszugehörigkeit weit überdurchschnittlich hohe Abfindungen zu beanspruchen haben würden. Wenn die Betriebsparteien für solche Fälle Höchstbetragsklauseln vereinbaren, kann damit häufig eine substantielle Erhöhung der Abfindungen für die übrigen Beschäftigten erreicht werden. Deshalb können Höchstbetragsklauseln in Sozialplänen auch für Betriebsräte unter Umständen eine sinnvolle Option darstellen.
Der vom Bundesarbeitsgericht hier geprüfte Höchstbetrag von 230.000,00 EUR stellt dabei keine Mindestgrenze dar. Wie sich aus den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichtes ergibt, können auch deutlich geringere Höchstbeträge rechtmäßig sein, solange sie den Anforderungen von § 3 Abs. 2 AGG genügen.
Gericht:
BAG
Aktenzeichen:
1 AZR 252/21
Datum der Entscheidung:
08.02.2022