BAG: Zum Beginn des Sonderkündigungsschutzes bei In-vitro-Fertilisation

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer Entscheidung vom 26.03.2015 zu der Frage zu äußern, wann in Fällen künstlicher Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) der Sonderkündigungsschutz der schwangeren Arbeitnehmerin nach § 9 Abs. 1 S. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) einsetze.

§ 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG lautet:

"Die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird;…"

Im entschiedenen Fall hatte eine Arbeitnehmerin, die in einer Versicherungsagentur beschäftigt war, ihrem Arbeitgeber am 14.01./15.01.2013 mitgeteilt, dass sie sich wegen eines unerfüllten Kinderwunsches mit der Absicht trage, eine künstliche Befruchtung vornehmen zu lassen. Der entsprechende Embryonentransfer (Einsetzung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter) wurde am 24.01.2013 vorgenommen.

Unter dem 31.01.2013 erklärte der Arbeitgeber – ohne Zustimmung der Mutterschutzbehörde (§ 9 Abs. 4 MuSchG) – die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses und besetzte die Stelle in der Folge mit einer älteren Arbeitnehmerin.

Am 07.02.2013 wurde die Schwangerschaft festgestellt und dem Arbeitgeber am 13.02.2013 mitgeteilt.

Auf die von der Arbeitnehmerin fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage stellte das BAG – wie die Vorinstanzen – die Unwirksamkeit der Kündigung fest. Der Sonderkündigungsschutz habe bereits mit dem Embryonentransfer und nicht erst mit der Einnistung des befruchteten Eis eingesetzt. Zudem verstoße eine Kündigung einer Arbeitnehmerin, die wegen der (beabsichtigten) Durchführung einer künstlichen Befruchtung und der Möglichkeit einer damit einhergehenden Schwangerschaft ausgesprochen werden, gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) iVm. §§ 1, 3 AGG (BAG, Urt. v. 26.03.2015, 2 AZR 237/14).

Hinweise von Rechtsanwalt Michael Kügler:

Die vorbezeichnete Entscheidung stellt nicht nur eine Klarstellung zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 MuSchG dar. Sie verdeutlicht auch, dass Arbeitgeber, die wegen einer beabsichtigten Schwangerschaft kündigen, sich rechtlich auf "dünnen Eis" bewegen:

Im entschiedenen Fall führte das BAG aus, dass hier zugunsten der Arbeitnehmerin auch die Beweiserleichterung des § 22 AGG greife. Diese lautet:

"Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat."

§ 1 AGG führt u.a. die Benachteiligung wegen des Geschlecht auf.

Aktenzeichen:

2 AZR 237/14