BAG: Zur Zulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen bei einer außerordentlichen Verdachtskündigung

Das Bundesarbeitsgericht lässt auch bei einer außerordentlichen Verdachtskündigung, also einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber, die (nur) auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung gestützt wird, das Nachschieben von Kündigungsgründen unter bestimmten Umständen zu. Der Arbeitgeber muss in einem solchen Falle den Arbeitnehmer auch nicht ein weiteres Mal anhören.

Damit besteht für einen Arbeitgeber unter bestimmten Umständen die Möglichkeit, eine bereits ausgesprochene Verdachtskündigung mit erst nach Ausspruch der Kündigung bekannt gewordenen, aber bereits zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung objektiv vorgelegenen Verdachtsumständen zu begründen, ohne dass der Arbeitgeber darauf beschränkt wäre, wegen dieser weiteren Verdachtsumstände eine zusätzliche (spätere) außerordentliche Verdachtskündigung auszusprechen.

Im konkreten Falle – es handelt sich um einen Arbeitgeber, in dessen Betrieb kein Betriebsrat bestand – hatte der Arbeitgeber zur Überzeugung des Gerichts erst im Laufe eines Rechtsstreits um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Verdachtskündigung im Zusammenhang mit vermeintlich betrügerischen Auftragsvergaben eines Außendienstmitarbeiters von einem Bauvorhaben erfahren, welches dieser Außendienstmitarbeiter (eigenmächtig) auf Kosten des Arbeitgebers an seinem privaten Wohngrundstück durchführen ließ.

Dem Arbeitgeber waren, zur Überzeugung des Gerichts, diese Umstände erst nach Ausspruch der außerordentlichen Verdachtskündigung bekannt geworden.

Der Arbeitgeber stützte nunmehr im Prozess die außerordentliche Verdachtskündigung auch auf diese zum Zeitpunkt der Kündigung bereits vorhandenen und abgewickelten Privataufträge, von denen er allerdings erst nach der Kündigung erfahren hatte.

Aus diesem Grunde hatte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch vor Ausspruch der Kündigung nicht angehört.

Da ein Arbeitgeber vor Ausspruch einer auf den (bloßen) Verdacht gestützten Kündigung den Arbeitnehmer aber grundsätzlich anhören muss, damit dieser Gelegenheit hat, die Vorwürfe auszuräumen und die Kündigung zu verhindern, stellte sich nunmehr die Frage, ob nicht auch wegen der unterbliebenen Anhörung es dem Arbeitgeber verwehrt wäre, derartige Gründe im Nachhinein im Prozess einzuführen.

Das Bundesarbeitsgericht sah indes im konkreten Falle kein Erfordernis einer weiteren Anhörung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber. Da ohnehin bereits eine Kündigung ausgesprochen war, hätte der Arbeitnehmer hierdurch auch die Kündigung nicht mehr verhindern können. Seine Möglichkeiten, den Verdacht auszuräumen, seien durch die Beteiligung am Prozess gewahrt (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.05.2013 – 2 AZR 102/12).

Anmerkungen von Rechtsanwalt Michael Kügler:

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Arbeitgeber, der bereits eine außerordentliche Verdachtskündigung ausgesprochen hat, im Nachhinein weitere verdachtsbegründende Umstände noch in den vom Arbeitnehmer angestrengten Kündigungsschutzprozess einführen, sofern diese Umstände bereits vor Ausspruch der Kündigung vorlagen und dem Arbeitgeber erst danach bekannt geworden sind.

Für den Arbeitgeber kann es sich also sehr wohl auszahlen, wenn er auch nach Ausspruch der Kündigung „Augen und Ohren offen hält“. Er ist dann nämlich nicht dazu gezwungen, diese Umstände (nur) zum Gegenstand einer weiteren Kündigung zu machen.

Da die Voraussetzungen, unter denen Verdachtsumstände nachgeschoben werden können, etwa die Frage, wann der Arbeitgeber sie denn kannte, durchaus streitig werden können, empfiehlt es sich für den Arbeitgeber naturgemäß, diese Umstände nicht nur heranzuziehen, um die zuerst ausgesprochene Kündigung zusätzlich zu stützen, sondern – hierzu muss er allerdings den Arbeitnehmer dann auch anhören – zum Anlass einer weiteren Kündigung zu nehmen.

 

Aktenzeichen:

2 AZR 102/12

2 AZR 102/12

2 AZR 102/12