BAG: Berufung auf Verfallklausel kann gegen Treu und Glauben verstoßen

Der Sachverhalt ist sicherlich ungewöhnlich. Als Leiterin der Buchhaltung eines Unternehmens überwies die Beklagte rechtswidrig innerhalb von vier Jahren ca. 4 Millionen EUR an Freunde und Bekannte. Mit Schreiben vom 18.4.2013 räumte sie gegenüber ihrem Arbeitgeber die unrechtmäßigen Überweisungen ein und gab an, sie werde das Geld schnellstmöglich zurücküberweisen. Nachdem eine außergerichtliche Einigung nicht zustande kam, erhob das Unternehmen am 19.12.2013 Klage über den vollen Schadensersatzbetrag. Der Arbeitsvertrag enthält eine Verfallklausel, nach der Ansprüche verfallen, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, die zweite Instanz die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Einschätzung angeschlossen und die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Insbesondere stehe dem Schadensersatzanspruch die Ausschlussfrist aus dem Arbeitsvertrag nicht entgegen. Ob die Verfallklausel wirksam ist und die Ansprüche ordnungsgemäß geltend gemacht wurden, könne dabei dahinstehen, denn die Berufung auf die Verfallklausel verstoße jedenfalls gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Immer dann, wenn sich eine Partei in Widerspruch zu ihrem eigenen vorausgegangenen Verhalten setzt und für die andere Partei ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, oder wenn sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lässt, stehe der Grundsatz von Treu und Glauben der Berufung auf eine Verfallklausel entgegen. Insofern sei hier zu beachten, dass die Beklagte mit erheblicher krimineller Energie bestehende Schutzmechanismen bewusst ausgeschaltet hatte. Hierzu verwendete sie eine rechtswidrig erzeugte zweite elektronische Signatur und vereitelte damit eine wirksame Kontrolle der von ihr veranlassten Überweisungen. Gerade durch dieses Verhalten aber wurde ein früheres Entdecken der rechtswidrigen Überweisungen vereitelt. Hinzu kam aber auch, dass die frühere Buchhalterin mehrfach gegenüber der Arbeitgeberin ihr Verschulden eingeräumt und eine Wiedergutmachung angekündigt hatte.

Hinweis von Rechtsanwalt Dr. Norbert Gescher:

Die Entscheidung liegt auf einer Linie mit weiteren Entscheidungen des BAG, mit denen in diesem Jahr die Anwendbarkeit von Verfallklauseln eingeschränkt wurde. So etwa hinsichtlich der Nichtanwendbarkeit im Rahmen des Mindestlohns (BAG 20.6.2018, AZR/377/17) oder der Feststellung, dass das Führen von Verhandlungen auch den Lauf der Verfallfrist hemmt (BAG 18.9.2018, 9 AZR/162/18).

Damit führen Verfallklauseln in der Praxis immer seltener zu einer Einschränkung der Durchsetzbarkeit von Ansprüchen, stellen aber natürlich weiterhin ein Standardmittel der Vertragsgestaltung dar, dessen Ausgestaltung und Anwendung unter Beachtung der Grundsätze des BAG aber stets sorgfältig zu prüfen ist.

Gericht:

BAG

Datum der Entscheidung:

28.6.2018

Aktenzeichen:

8 AZR 141/16