BSG: Trotz Aufhebungsvertrages (mit Abfindung in Höhe des § 1a Kündigungsschutzgesetz) bei drohender betriebsbedingter Kündigung doch keine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld?
Das Bundessozialgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob einer Arbeitnehmerin, der seitens des Arbeitgebers eine betriebsbedingte Kündigung drohte, bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages (unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist und mit einer Abfindung, deren Höhe sich im Rahmen des § 1a KSchG bewegt) das Arbeitslosengeld für die Dauer von 12 Wochen gekürzt werden kann.
Im entschiedenen Fall verneinte das höchste deutsche Sozialgericht die Verhängung einer Sperrzeit und bestätigte in dritter Instanz, dass der Klägerin schon ab Beginn der ursprünglich von der Bundesagentur für Arbeit verhängten Sperrzeit (01.12.2005 bis 22.02.2006) Arbeitslosengeld zu bewilligen war.
Bereits die Länge der Verfahrensdauer – die BSG-Entscheidung erging am 02.05.2012 – sowie der Umfang der Urteilsbegründung zeigen, dass bei der Entscheidung eine Vielzahl von Gesichtspunkten eine Rolle spielten:
Ausgangspunkt der gerichtlichen Bewertung bildete zunächst die gesetzliche Regelung im Sozialgesetzbuch III (SGB III) über die „Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe“. Diese Regelung lautet – in der mit neuer Nummerierung versehenen Fassung (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) – wie folgt:
„Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn
1.
die oder der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe),
2. …“
Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung geht das BSG nun zunächst davon aus, dass eine Arbeitnehmerin, die „nicht mindestens konkrete Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hat“, durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages ihre Arbeitslosigkeit jedenfalls grob fahrlässig herbeiführt.
Allerdings könnte eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe gleichwohl ausscheiden, wenn die Klägerin sich für ihr Verhalten auf einen „wichtigen Grund“ stützen könnte. In ausdrücklicher Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung leitete das BSG– im konkret entschiedenen Fall – einen derartigen wichtigen Grund aus folgenden Umständen ab:
Der Klägerin war seitens des Arbeitgebers eine betriebsbedingte Kündigung angedroht worden. Die Rechtmäßigkeit dieser angedrohten Kündigung sei – im vorliegenden Falle – nicht von den Sozialgerichten zu prüfen, da die von den Arbeitsvertragsparteien im Aufhebungsvertrag vereinbarte Abfindung „in den Grenzen des § 1a Abs. 2 KSchG“ läge.
§ 1a Abs. 2 KSchG lautet:
„Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. § 10 Abs. 3 gilt entsprechend. Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden.“
§ 1a KSchG ist allerdings an sich eine Bestimmung des Kündigungsschutzrechts und nicht des Arbeitsförderungsrechts. Sie gibt dem Arbeitgeber – kurz formuliert – die Möglichkeit, bereits im Kündigungsschreiben dem Arbeitnehmer für den Fall, dass er gegen die Kündigung keine Kündigungsschutzklage erhebt, eine Abfindung in Höhe des § 1a Abs. 2 KSchG verbindlich zuzusagen. Nachdem bereits der Gesetzgeber bei Einführung dieser Bestimmung zum Ausdruck brachte, dass die bloße Hinnahme einer solchen Kündigung durch den Arbeitgeber sich nicht sperrzeitauslösend auf den Arbeitnehmer auswirken solle, sprach sich das BSG nunmehr konsequenter Weise dafür aus, die dem § 1a KSchG zugrundeliegende gesetzgeberische Wertung auch auf das Arbeitsförderungsrecht zu übertragen.
Allerdings weist das BSG in seiner Entscheidung auch darauf hin, dass die Sperrzeitunschädlichkeit nur greife,
„vorausgesetzt, es liegen keine Anhaltspunkte für eine Gesetzesumgehung zu Lasten der Versichertengemeinschaft vor.“
Und ausdrücklich soll offenbleiben, ob die neue Rechtsprechung
„auch dann gelten soll, wenn der Aufhebungsvertrag nicht anstelle einer bereits ausgesprochenen oder drohenden Kündigung des Arbeitsgebers geschlossen wird, sondern schon im Vorfeld eine Vereinbarung über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung getroffen wird“.
Schließlich streift das BSG auch die Frage, was eigentlich dann gilt, wenn die Arbeitsvertragsparteien nicht genau den Wert als Abfindung im Aufhebungsvertrag vereinbaren, der sich bei Anwendung des § 1a Abs. 2 KSchG ergibt. So hätte im entschiedenen Falle die Abfindung nach der Rechenregel des § 1a Abs. 2 KSchG „rund 74.000 Euro“ betragen, während der Aufhebungsvertrag mit „47.000 deutlich“ dahinter zurückbleibe. Diese Abweichung hielt das BSG im Ergebnis für unschädlich, nicht ohne aber darauf hinzuweisen, dass bei
„frei vereinbarten Abfindungssummen, namentlich dann, wenn die Abfindungssumme die Grenzen des § 1a Abs. 2 KSchG deutlich überschreitet, ein Anhaltspunkt für einen [zu ergänzen: sperrzeitauslösenden] ‚Freikauf‘ gegeben sein“
könnte.
Abschließend führt das BSG noch aus, dass selbst der Umstand, dass der Klägerin aufgrund ihrer Schwerbehinderung Sonderkündigungsschutz zur Seite stand, – im entschiedenen Falle – nichts zu Lasten der Arbeitnehmerin ändere. Denn die Vorinstanz sei
„im Wege einer Plausibilitätskontrolle rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass die der Klägerin in Aussicht gestellte Kündigung auch in Ansehung ihrer Schwerbehinderung nicht offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre und demzufolge auch kein Anhaltspunkt für eine Gesetzesumgehung zu Lasten der Versichertengemeinschaft gegeben ist.“
Der vorliegende Rechtsfall gab damit dem BSG Gelegenheit, seine neue Rechtsprechung sowohl vor dem Hintergrund (drohender) ordentlicher betriebsbedingter Kündigung, als auch (drohender) außerordentlicher betriebsbedingter Kündigung mit sozialer Auslauffrist zu entwickeln (BSG, Urt. v. 02.05.2012, B 11 AL 6/11 R).
Hinweise von Rechtsanwalt Michael Kügler:
Das Thema „Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe“ hat vielen Arbeitnehmern, insbesondere wenn sie ohne entsprechende Rechtskenntnisse einen Aufhebungsvertrag eingingen, leidvolle Erfahrungen bereitet.
Umgekehrt haben auch viele Arbeitgeber schon die Erfahrung gemacht, dass eigentlich von beiden Seiten in der Sache gewünschte einvernehmliche Trennungen daran scheiterten, dass Arbeitnehmer aus Sorge vor einer Sperrzeit keinen Aufhebungsvertrag eingingen.
Die obige Entscheidung gibt beiden Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, – wenn auch nur unter bestimmten Umständen – Arbeitsverhältnisse durch Aufhebungsvertrag sperrzeitunschädlich aufzulösen.
Allerdings sollte dies nicht ohne Einholung rechtlichen Rats erfolgen:
Denn es sind eine Vielzahl von Kriterien zu beachten, um überhaupt in den Anwendungsbereich der BSG-Entscheidung zu gelangen. Und diese Kriterien müssten nicht zur Überzeugung des Sachbearbeiters der Bundesagentur für Arbeit darstellbar sein, sondern sich auch in einem etwaigen späteren Gerichtsverfahren „gerichtsfest“ erweisen.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass das BSG seine Rechtsprechung ausdrücklich unter den Vorbehalt der „Gesetzesumgehung“ stellt. Das Gericht hebt hierbei insbesondere die „offenkundige Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Kündigung“ hervor. Wann indes eine Kündigung „offensichtlich rechtswidrig“ ist, lässt sich ohne rechtlichen Rat kaum beurteilen.
B 11 AL 6/11 R
B 11 AL 6/11 R