BSG: Zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld eines sog. „unkündbaren“ Arbeitnehmers bei Abfindung im Kündigungsschutzprozess

Das Bundessozialgericht hatte sich in seiner Entscheidung mit der Frage zu befassen, unter welchen Umständen bei einer Arbeitnehmerin, die nach dem zugrundeliegenden Tarifvertrag aufgrund ihres Lebensalters und der Länge ihrer Beschäftigungszeit nur noch aus wichtigem Grunde gekündigt werden konnte („ordentliche Unkündbarkeit“), eine Abfindungszahlung auf das Arbeitslosengeld angerechnet würde.

Im konkreten Fall war eine 1955 geborene Raumpflegerin bei einer Sparkasse seit 1988 beschäftigt. Unter dem 23.05.2007 kam es seitens der Sparkasse wegen Ausgliederung des Reinigungsdienstes („Outsourcing“) zu einer Kündigung zum 31.12.2007. Auf das Arbeitsverhältnis fand ein Tarifvertrag Anwendung, der nach 12 Beschäftigungsjahren nur eine Kündigung mit einer Frist von sechs Monaten zum Vierteljahresschluss sowie nach Vollendung des 40. Lebensjahres und einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren nur mehr eine Kündigung aus wichtigem Grunde zuließ.

Die Arbeitnehmerin hatte zunächst innerhalb von 3 Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens rechtzeitig Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht erhoben und sich dort – bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum Kündigungstermin (31.12.2007) – auf eine Abfindung von € 20.000,00 verglichen.

Zum 01.01.2008 hatte sie sich arbeitslos gemeldet.

Die zuständige Arbeitsagentur („Arbeitsamt“) bewilligte zwar dem Grunde nach ab 01.01.2008 Arbeitslosengeld, stellte aber gleichzeitig für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 22.05.2008 das „Ruhen“ des Arbeitslosengeldanspruchs wegen Zahlung einer sog. Entlassungsentschädigung fest.

Dieses „Ruhen“ bedeutet im praktischen Ergebnis, dass die Leistungen der Arbeitsagentur hinausgeschoben werden und somit der Klägerin zunächst keine Arbeitslosengeldzahlungen zuflossen. Vielmehr soll die Klägerin in dem Ruhenszeitraum von ihrer Abfindung („Entlassungsentschädigung“) leben. Auch werden von der Arbeitsagentur während des Ruhens zum Beispiel keine Beitragszahlungen an die Kranken- und Rentenversicherung erbracht.

Die Arbeitsagentur berief sich für ihr Vorgehen auf die gesetzliche Bestimmung des damaligen § 143a SGB III (heute § 158 SGB III). Diese Vorschrift sieht – vereinfacht formuliert – im wesentlichen folgendes vor:

Wird bei einem Arbeitnehmer, der ordentlich kündbar ist, im Rahmen eines Abfindungsvergleichs die ordentliche Kündigungsfrist unterschritten, so ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeldzahlung grundsätzlich für den Zeitraum, um den die Kündigungsfrist unterschritten wurde.

Handelt es sich gar – wie im Falle der Klägerin – um eine „ordentlich unkündbare“ Arbeitnehmerin, so wird – stark vereinfacht – zunächst eine fiktive Kündigungsfrist von 18 Monaten unterstellt.

In beiden Fällen ist die Länge des Ruhenszeitraums aber insbesondere auch von der Höhe der Abfindung abhängig, weil das Gesetz die Anrechnung dieser Entlassungsentschädigung wieder auf eine recht komplizierte Weise einschränkt. Im Falle der Klägerin verblieben aber gleichwohl noch fast 5 Monate (01.01. bis 22.05.2008), in denen sie von der Abfindungszahlung leben sollte.

Die Sozialgerichte lehnten allerdings im vorliegenden Falle durchweg eine Anrechnung der Abfindung ab:
Sie argumentierten mit einer Ausnahmebestimmung, wonach auch bei ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern unter Umständen gleichwohl eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist in Betracht kommen kann. Dabei entspricht die Länge dieser sozialen Auslauffrist der ordentlichen Kündigungsfrist.

Auch das Bundessozialgericht sah diese Ausnahmebestimmung als gegeben an: Denn aufgrund des Outsourcing war der Arbeitgeberin auf Dauer eine Beschäftigung der Klägerin in keiner Weise mehr möglich. Sowohl arbeits-, als auch sozialversicherungsrechtlich war damit im Ergebnis das Arbeitsverhältnis im vorliegenden Falle mit zutreffender Kündigungsfrist kündbar. Sanktionen beim Arbeitslosengeldbezug schieden aus (BSG, Urt. v. 17.12.2013, Az. B 11 AL 13/12 R).
 

Hinweise von Rechtsanwalt Michael Kügler:

Die vorliegende Entscheidung zeigt deutlich die Verzahnung von Arbeits- und Sozialrecht bei Fragen der Gestaltung von gerichtlichen Abfindungsvergleichen. Sie macht deutlich, wie das Sozialversicherungsrecht insbesondere die Frage des Beendigungszeitpunkts mit beeinflusst.

Die schönste Abfindung kann sich im Nachhinein als nachteilig erweisen, wenn sie etwa mit der Verkürzung der Kündigungsfrist einherging.

Natürlich spielen die Auswirkungen des Arbeitslosengeldrechts nur eine Rolle, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich in den Arbeitslosengeldbezug kommt. Wem es gelingt, bereits vor dem nach gerichtlichem Vergleich vorgesehenen Beendigungszeitpunkt – also ohne Eintritt in eine zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit – ein neues Beschäftigungsverhältnis einzugehen, muss auf die Kündigungsfrist im alten Arbeitsverhältnis insodern keine Rücksicht und kann sogar oft darauf hoffen, für diesen Fall des vorzeitigen Ausscheidens noch eine Erhöhung der Abfindung in den Vergleichstext rein zu verhandeln (sog. „Turboklausel“).

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass die obigen Ausführungen zum sog. Ruhen bei Entlassungsentschädigung nur eine mögliche sozialversicherungsrechtliche Folge eines Abfindungsvergleiches betreffen.

Es gibt gerade auch vor dem Hintergrund des Arbeitslosengeldrechts eine Reihe weiterer Punkte, die berücksichtigt werden müssen. Insbesondere können Abfindungsvergleiche auch Sperrzeiten auslösen, also den Arbeitslosengeldanspruch nicht nur hinausschieben, sondern zusätzlich auch noch kürzen.
 

 

Aktenzeichen:

B 11 AL 13/12 R