BVerfG: Fundamental herabwürdigende Äußerung eines Betriebsratsmitgliedes ist nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und rechtfertigt den Ausspruch einer fristlosen Kündigung
Mit Beschluss vom 02.11.2020 hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen arbeitsgerichtliche Entscheidungen zu einer Kündigung wegen einer groben menschenverachtenden Äußerung nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Beschwerdeführer war Betriebsratsmitglied. Im Rahmen einer Auseinandersetzung während einer Betriebsratssitzung über den Umgang mit einem EDV-System betitelte er seinen dunkelhäutigen Kollegen mit den Worten „Ugah, Ugah!“, der ihn wiederum als „Stricher“ bezeichnete. Auch aufgrund dieses Vorfalls erhielt der Beschwerdeführer die außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Die Arbeitsgerichte erachteten diese Kündigung auch aufgrund einer einschlägigen vorhergehenden Abmahnung, die aber nicht zu einer Änderung des Verhaltens geführt hatte, als rechtmäßig. Der Beschwerdeführer rügte mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem, dass die Gerichte für Arbeitssachen sein Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzt haben, indem sie die Kündigung für rechtmäßig erachteten. Sie hätten seine Grundrechte gegenüber dem Kündigungsinteresse der Arbeitgeberin nicht abgewogen. Man dürfe ihm keine rassistische Einstellung vorwerfen.
Das BVerfG befindet die Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Begründung für unzulässig; sie wäre darüber hinaus aber auch unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte hätten die Wertungen, die sich aus Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) sowie aus Art. 1 GG (Menschenwürde) und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (Diskriminierungsverbot) ergeben, nicht verkannt. Sie verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG, so die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die arbeitsgerichtliche Bestätigung der Kündigung sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Zutreffend wurde die konkrete Situation als maßgeblich angesehen, in der ein Mensch mit dunkler Hautfarbe direkt mit nachgeahmten Affenlauten adressiert wird. Der Schluss, dass aufgrund der Verbindung zu einem nach § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verpönten Merkmal keine nur derbe Beleidigung vorliege, sondern die Äußerung fundamental herabwürdigend sei, ist auch im Lichte von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, der sich gegen rassistische Diskriminierung wendet, nicht zu beanstanden.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfordere im Normalfall eine Abwägung zwischen drohenden Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre und der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit trete aber jedenfalls dann zurück, wenn herabsetzende Äußerungen die Menschenwürde antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Das haben die Arbeitsgerichte hier in Anwendung des Kündigungsschutzrechts nicht verkannt. Sie stützen sich auf §§ 104, 75 Abs. 1 BetrVG und §§ 1, 7, 12 AGG, in denen die verfassungsrechtlichen Wertungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde und des Diskriminierungsverbots ihren Niederschlag finden. Sie haben ausführlich begründet, dass und warum es sich um menschenverachtende Diskriminierung handelt. Danach werde die Menschenwürde angetastet, wenn eine Person nicht als Mensch, sondern als Affe adressiert wird, und damit das in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausdrücklich normierte Recht auf Anerkennung als Gleiche unabhängig von der „Rasse“ verletzt wird. Diese Wertung, so das BVerfG, sei ebenso wie die im Rahmen der fristlosen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB geforderte Gesamtwürdigung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:
Der Beschluss des BVerfG liegt bislang nur als Pressemitteilung Nr. 101/20 vom 24.11.2020 vor. In der Sache selbst sind sowohl die Entscheidungen der Arbeitsgerichte, als auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu begrüßen. Diese bestätigen nicht zuletzt einen kündigungsrechtlich relevanten Rechtsschutz gegen menschenverachtende Diskriminierungen in Form von rassistischen Anfeindungen.
Gericht:
BVerfG
Datum der Entscheidung:
02.11.2020
Aktenzeichen:
1 BvR 2727/19