ERA-Einführung zwingt zu betrieblicher Kooperation

In der Metallindustrie und verwandten Branchen wird in dieser Zeit das neue Entgeltrahmenabkommen (ERA), welches die bislang getrennten Entgelttarifverträge für Angestellte und Arbeiter ablöst, eingeführt. Durch das ERA werden den Betriebsparteien zahlreiche neue Instrumente zur Flexibilisierung der Entgelte und zur Schaffung einer leistungsorientierten Vergütung eingeräumt. Gleichzeitig sind die Beschäftigten bei der Einführung des ERA neu einzugruppieren, weil die Tarifvertragsparteien auf eine Regelüberführung verzichtet haben. Das hat zur Folge, dass Eingruppierungsfehler beseitigt werden können. Wenn ein Unternehmen aber versucht, die Neueingruppierung als betriebliches Kostensenkungsinstrument zu begreifen, können unerwartete Folgen eintreten. 

Gerne machen Unternehmen von den Richtbeispielen, die die Tarifvertragsparteien für die Eingruppierung entwickelt haben, Gebrauch. Das hat im Falle eines nordhessischen Unternehmens aber dazu geführt, dass der Betriebsrat in etwa 90% der Fälle den Eingruppierungsvorschlägen des Arbeitgebers widersprochen hat. Diese Richtbeispiele sind nämlich als Orientierungshilfe für die Betriebsparteien auf der Grundlage eines gedachten Musterbetriebes erstellt worden und entsprechen in aller Regel nicht exakt der Tätigkeit, die der einzelne Mitarbeiter im Betrieb tatsächlich verrichtet. Das hat zur Folge, dass die unbedachte Anwendung der Richtbeispiele bei der Vielzahl der Mitarbeiter eine zu niedrige Eingruppierung zur Folge haben kann. Der betroffene Arbeitgeber hat dann mit einer Vielzahl kostenträchtiger Gerichtsverfahren zu rechnen:

  • Zunächst muss der Arbeitgeber in jedem Fall, in dem der Betriebsrat seine Zustimmung zur Eingruppierung verweigert, beim zuständigen Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren einleiten und die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates beantragen.

  • Unterlässt der Arbeitgeber es, einen entsprechenden Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats beim Arbeitsgericht zu stellen, kann der Betriebsrat seinerseits das Arbeitsgericht anrufen und den Arbeitgeber auf diese Weise zwingen das Verfahren über die Eingruppierung ordnungsgemäß fortzusetzen.

  • Soweit die vom Arbeitgeber der neuen Eingruppierung zugrunde gelegte Tätigkeit von der vom Mitarbeiter bislang verrichteten Tätigkeit abweicht, könnte es sich – wenn der Mitarbeiter tatsächlich eine andere Tätigkeit verrichtet als bislang – um eine Versetzung im Sinne von § 95 Abs. 3 BetrVG handeln. Wenn der Betriebsrat dabei nicht ordnungsgemäß gem. § 99 BetrVG beteiligt wurde, kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber vom Arbeitsgericht in einem weiteren Beschlussverfahren gem. § 101 BetrVG aufgeben lassen, die Versetzung aufzuheben, bis der Betriebsrat bei der Versetzung ordnungsgemäß beteiligt wurde.

Der Arbeitgeber hat dabei nicht nur die Kosten seines eigenen Rechtsanwaltes zu tragen, sondern auch die Kosten des Rechtsanwaltes des Betriebsrats.

Wenn das Unternehmen seinen Betrieb bei der ERA-Einführung so ändert, dass die Arbeitsbeschreibungen den von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Richtbeispielen entsprechen, könnte dieses weitere, ungeahnte Kosten zur Folge haben, weil damit der Tatbestand einer „grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen“ verwirklicht sein könnte. Ein solcher Tatbestand würde eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Ziff. 4 BetrVG darstellen, so dass Unternehmen und Betriebsrat einen Interessenausgleich zu verhandeln und einen Sozialplan zu vereinbaren hätten.

Auch die betroffenen Mitarbeiter haben die Möglichkeit, gegen die von ihnen als falsch empfundene Eingruppierung vorzugehen und beim Arbeitsgericht Klage auf zutreffende Eingruppierung erheben. Schließlich muss der Arbeitgeber auch damit rechnen, von den betroffenen Mitarbeitern in einem weiteren Verfahren in Anspruch genommen zu werden: Wenn sich die Tätigkeit der Mitarbeiter im Rahmen der neuen Eingruppierung tatsächlich ändert, können diese unter Umständen ebenfalls auf Aufhebung der Versetzung klagen.

Ob der Betriebsrat von seinen oben genannten Rechten Gebrauch macht, hängt nach allen Erfahrungen in der Regel davon ab, ob er die vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Eingruppierungen für zutreffend hält. Dabei stehen den Betriebsparteien verschiedenen Instrumente zur Verfügung, um zu einem Einvernehmen zu gelangen. So können Streitfälle in einer paritätischen Kommission entschieden oder die Tarifparteien zur Vermittlung hinzugezogen werden. Die Unternehmen, die bisher das ERA in ihren Betrieben eingeführt haben, haben dabei in der Regel hinsichtlich des weit überwiegenden Teils der Eingruppierungen ein Einvernehmen mit dem Betriebsrat erzielen können. Soweit das aber nicht gelingt, müssen auch mittelständische Unternehmen mit Prozesskosten von z.T. mehr als 2.000,- € für jeden Streitfall rechnen; soweit die Kosten nicht von anderen getragen werden. Damit zeigt sich, dass die Einführung des ERA nicht als Kostensenkungsintrument geeignet ist und sowohl Betriebsrat als auch Unternehmen zur Kooperation zwingt.

(Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto)