EuGH: Betriebsübergang und Bezugnahmeklausel
Der Kläger war seit 1985 als Arbeitnehmer für die DUEWAG AG tätig. Nach seinem Arbeitsvertrag galten für das Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag und die jeweils gültigen Lohnabkommen der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. Der Kläger war zum damaligen Zeitpunkt nicht Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft IG Metall; die DUEWAG AG jedoch Mitglied im Arbeitgeberverband.
Im Jahr 1999 wurde der Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, an die Beklagte veräußert. Diese ist nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes. Nachdem die IG Metall und der AGV am 23. Mai 2002 einen neuen Entgelttarifvertrag, der eine Erhöhung der Löhne um 2,6 % und weitere Leistungen vorsah, vereinbarten, erhob der Kläger Klage auf Zahlung der Tariferhöhungen für die Zeit seit dem 1. Juni 2003. Diese Klage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Der Kläger erhob Berufung beim zuständigen Landesarbeitsgericht Düsseldorf.
Das LAG sah einerseits die dynamische Verweisung auf das jeweils gültige Lohnabkommen im Arbeitsvertrag. Bei wörtlicher Auslegung wäre damit der Anspruch des Klägers zu bejahen gewesen. Andererseits hatte das LAG die langjährige Auslegungspraxis des BAG vor Augen, nach der eine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag trotz anderweitigen Wortlauts bei einer Tarifbindung des Arbeitgebers an den in Bezug genommenen Tarifvertrag regelmäßig nicht als dynamische Verweisung auf den jeweils gültigen Tarifvertrag, sondern nur als Gleichstellungsklausel des nicht tarifgebundenen mit den gewerkschaftsangehörigen Mitarbeitern verstanden werden sollte. Das LAG sah jedoch einen Widerspruch zwischen der Richtlinie 98/50, die im Falle eines Betriebs- oder Betriebsteilüberganges einen uneingeschränkten Übergang der arbeitsvertraglichen Vereinbarung auf den Erwerber vorsieht, und der Auslegungspraxis und der daraus folgenden Interpretation von § 613a BGB durch das BAG. Deshalb legte das LAG Düsseldorf dem EuGH folgende Fragen zur Entscheidung vor:
Ist es mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/50/EG vereinbar, wenn der nicht tarifgebundene Betriebserwerber an eine Vereinbarung zwischen dem tarifgebundenen Betriebsveräußerer und dem Arbeitnehmer, nach der die jeweiligen Lohntarifverträge, an die der Betriebsveräußerer gebunden ist, Anwendung finden, in der Weise gebunden ist, dass der z.Zt. des Betriebsübergangs gültige Lohntarifvertrag Anwendung findet, nicht aber später in Kraft tretende Lohntarifverträge Anwendung finden?
Falls dies zu verneinen ist: Ist es mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/50/EG vereinbar, wenn der nicht tarifgebundene Betriebserwerber nur so lange an nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs in Kraft getretene Lohntarifvertäge gebunden ist, so lange eine solche Bindung für den Betriebsveräußerer besteht?
Der EuGH hat die erste Frage bejaht, so dass es einer Antwort auf die zweite Frage nicht mehr bedurfte. Nach seiner Auffassung könne eine Klausel, die auf einen Tarifvertrag verweise, keine weitergehende Bedeutung haben als der Tarifvertrag selbst. Ferner seien die Interessen des Erwerbers, der die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vornehmen können müsse, zu berücksichtigen. Schließlich sei das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit zu berücksichtigen. Dieses umfasse auch das Recht, einer Vereinigung nicht beizutreten. Wenn aber im Falle eines Betriebsüberganges die in Bezug genommenen Tarifverträge dynamisch, also in der jeweils geltenden Fassung fortgelten würden, könnte dadurch das Grundrecht der negativen Vereinigungsfreiheit beeinträchtigt werden. Mit einer statischen Auslegung einer solchen Klausel sei das Recht auf negative Vereinigungsfreiheit umfassend gewährleistet. (EuGH v. 9. März 2006, Rs. C-499/04)
Anmerkung von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto:
Das Urteil des EuGH erfolgt in turbulenter Zeit. Das BAG hatte über Jahre hinweg Bezugnahmeklauseln in Tarifverträgen auch dann, wenn der Wortlaut unzweideutig so zu verstehen war, dass auf einen bestimmten Tarifvertrag "in der jeweils geltenden Fassung" verwiesen wurde, als Gleichstellungsklauseln interpretiert, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages an den in Bezug genommenen Tarifvertrag kraft Tarifbindung gebunden war. Nachdem diese Auslegungspraxis in Rechtsprechung und Literatur aufgrund der Missachtung des Wortlautes solcher Klauseln zutreffend keine Akzeptanz gefunden hatte, gab das BAG in einer Pressemitteilung vom 14. Dezember 2005 bekannt, dass es für ab dem 1. Januar 2002 geschlossene Arbeitsverträge an seiner Rechtsprechung nicht mehr festhalten wolle.
Die Entscheidung des EuGH wird von manchen so verstanden, dass das BAG trotz seiner Pressemitteilung an seiner bisherigen Auslegungspraxis festhalten müsse. Damit ist jedoch nicht zu rechnen. Der EuGH hatte lediglich die Frage zu beantworten, ob das europäische Sekundärrecht der bisherigen Auslegungspraxis des BAG, solche Vereinbarungen als Gleichstellungsklauseln zu interpretieren, entgegensteht. Wenn der EuGH diese Frage verneint, kann das nicht so verstanden werden, dass die Fortsetzung der Rechtsprechung des BAG europarechtlich erforderlich wäre. Auch der Hinweis des EuGH, eine dynamische Bezugnahmeklausel könne die negative Vereinigungsfreiheit des Erwerbers beeinträchtigen, ist nicht übermäßig tragfähig. Wenn die negative Koalitionsfreiheit durch solche Klauseln beeinträchtigt würde, so würde das auch für den Veräußerer gelten, so dass jede dynamische Verweisung auf Tarifverträge unzulässig wäre. Das aber wird der EuGH nicht vertreten. Nicht umsonst hat der EuGH auch vermieden, festzustellen, dass eine Auslegung solcher Bezugnahmeklauseln als "dynamisch" die negative Koalitionsfreiheit berührt, sondern sich darauf beschränkt, auszuführen, dass die negative Koalitonsfreiheit verletzt werden "könnte". Es wird deshalb damit zu rechnen sein, dass das BAG seine angekündigte Änderung der Rechtsprechung fortsetzen wird. Wenn in einem seit dem 1. Januar 2002 vereinbarten Arbeitsvertrag auf Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung verwiesen wird, wird das BAG auch den Erwerber, auf den das Arbeitsverhältnis gem. § 613a BGB übergeht, daran binden.
C-499/04