EuGH: Erfassung von Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit

Im vorliegenden Rechtsstreit war ein spezialisierter Techniker im Betrieb einer Fernsehsenderanlage, die auf einem slowenischen Berg gelegen war an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen neben seiner regulären Arbeitszeit täglich sechs Stunden zur Rufbereitschaft eingeteilt. Während der Rufbereitschaft musste er innerhalb einer Stunde am Arbeitsplatz sein. Im Ergebnis bedeutet dies für den Kläger, dass er aufgrund der Lage der schwer zugänglichen Sendeanlage gezwungen war, sich während seiner Bereitschaftsdienste ohne große Freizeitmöglichkeiten in einer von seiner Arbeitgeberin zur Verfügung gestellten Dienstunterkunft aufzuhalten. Der Europäische Gerichtshof stellt zunächst klar, dass Bereitschaftszeiten immer nur entweder als Arbeitszeit oder aber als Ruhezeit eingestuft werden können, da eine entsprechende Zwischenkategorie nicht besteht. Weiter stellt das Gericht klar, dass eine Zeitspanne, in der tatsächlich keine Tätigkeit für den Arbeitgeber erbracht wird, nicht zwangsläufig Ruhezeit im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG ist.  

Wesentlich ist demnach, dass im Rahmen der Differenzierung zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit nur solche Einschränkungen eines Arbeitnehmers berücksichtigt werden können, die ihm durch nationale Rechtsvorschriften, Tarifvertrag oder durch seinen Arbeitgeber auferlegt werden. Organisatorische Schwierigkeiten jedoch, die eine Bereitschaftszeit für den Arbeitnehmer mit sich bringen kann und die sich nicht aus solchen Einschränkungen ergeben, sondern z.B. die Folge natürlicher Gegebenheiten oder der freien Entscheidung des Arbeitnehmers sind, können dagegen nicht berücksichtigt werden. Aus diesem Grund wertete der EuGH im vorliegenden Fall trotz der eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten des Klägers während seiner Rufbereitschaft diese Zeiten nicht als Arbeitszeit. Explizit verweist das Gericht darauf, dass bei einer hierbei gebotenen Beurteilung unerheblich ist, ob es in unmittelbarer Umgebung des Arbeitsorts wenig Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten gibt. 

 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Dr. Norbert Gescher:

Die Frage der Zuordnung von Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit wird sicherlich nicht zuletzt den EuGH und die nationalen Gerichte beschäftigt haben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der EuGH noch einmal ausdrücklich festgestellt hat, dass die Vergütung von Bereitschaftszeiten nicht der Richtlinie 2003/88/EG unterliegt. Eine sachgerechte Lösung wird daher betriebsbezogen oder für bestimmte Branchenbereiche zu suchen sein. Insoweit kann etwa durch Tarifverträge die Vergütung von Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht oder nicht erbracht werden, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden. Eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten, die wie hier aus der außergewöhnlichen geographischen Lage resultieren, könnten dann sachgerecht und betriebsbezogen berücksichtigt werden. 

 

Gericht:

EuGH

Datum der Entscheidung:

09.03.2021

Aktenzeichen:

C 344/19