EuGH: Kein Verfall des Anspruchs auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung bei Krankheit
Der Anspruch auf Erholungsurlaub sowie dessen Abgeltung verfällt nicht, wenn er wegen durchgängiger oder auch nur teilweiser krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte. Entscheidend ist, dass die Krankheit ursächlich dafür ist, dass der Urlaub nicht genommen werden konnte.
In dem vom Europäischen Gerichtshof zu entscheidenden Sachverhalt war ein Arbeitnehmer von Anfang September 2004 bis zum 30. September 2005 erkrankt, direkt im Anschluss ging er in den Ruhestand. Der Arbeitnehmer verlangte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs für 2004 und 2005.
Nach geltender Rechtslage wird der Urlaub bei dauerhafter Erkrankung, die bis zum Jahresende andauert, automatisch am Ende des Jahres auf das erste Quartal des Folgejahres übertragen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG verfiel aber zumindest der Urlaubsanspruch des Vorjahres am 31.März des Folgejahres, wenn der Arbeitnehmer bis zu diesem Termin auch durchgängig krank war. Im vorliegenden Fall wäre der Urlaubsanspruch aus 2004 danach verfallen.
Der EuGH urteilte, dass ein solcher Verfall der europäischen Richtlinie 2003/88/EG widerspricht. Diese garantiert einen Mindesturlaub von vier Wochen im Jahr und der Urlaub dürfe, so der EuGH, danach nicht aufgrund von Krankheit verfallen. Im bestehenden Arbeitsverhältnis ist der Urlaub auch nach dem Übertragungszeitraum noch durch Freistellung von der Arbeit zu gewähren. Endet das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Erkrankung, ist der noch bestehende Urlaubsanspruch abzugelten.
Dies gilt laut EuGH auch ausdrücklich nicht nur bei dauerhafter, sondern auch bei teilweiser Erkrankung im Urlaubsjahr oder im Übertragungszeitraum. Voraussetzung dafür, dass der Urlaub nicht verfällt, ist, dass der Urlaub wegen der Krankheit nicht genommen werden konnte, der Urlaub also nicht trotz Krankheit möglich gewesen wäre.
Hinweis: Diese Entscheidung, konsequent umgesetzt, führt dazu, dass der Urlaubsanspruch sogar bei jahrelanger dauerhafter Erkrankung nicht verfällt, sondern sich anhäuft. Eine zeitliche Begrenzung hat der EuGH nicht gesetzt.
Unklar ist, ob diese Auslegung der europäischen Richtlinie nur auf den von dieser garantierten Mindesturlaub von vier Wochen anzuwenden ist, oder auch für tariflichen und arbeitsvertraglichen Urlaub, der darüber hinausgeht. Nach bisher geltender Rechtslage sind die Regeln über den Urlaub auch auf solche Ansprüche entsprechend anzuwenden, sofern im Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag nichts anderes bestimmt ist.
Umstritten ist weiterhin, ob das Urteil des EuGH unmittelbare Auswirkungen hat oder nicht. Dies hängt davon ab, ob § 7 BUrlG, der besagt, dass der Urlaub im Fall der Übertragung im Übertragungszeitraum gewährt und genommen werden muss, richtlinienkonform ausgelegt werden kann. Ist dies der Fall, so wirkt die Entscheidung des EuGH unmittelbar und das deutsche Urlaubsrecht ist von den Arbeitsgerichten ab sofort im Sinne dieser Entscheidung auszulegen und anzuwenden. Gibt der Wortlaut des § 7 BUrlG eine solche Auslegung nicht her, so bedarf es einer Änderung durch den deutschen Gesetzgeber. Bis dahin bliebe die Rechtslage wie gehabt.
Unter Juristen wird diese Frage kontrovers diskutiert. Das LAG Düsseldorf, das die Rechtssache beim EuGH vorgelegt hat, geht von einer Auslegungsfähigkeit des deutschen Urlaubsrechts aus und entschied zu Gunsten des Arbeitnehmers. Rechtssicherheit wird es aber wohl nur durch ein Urteil des BAG hierzu geben, so dass bis dahin von divergierenden arbeitsgerichtlichen Entscheidungen auszugehen ist. (EuGH v. 20.01.2009, Az. C-350/06 (Gerhard Schultz-Hoff / DRV Bund) und C-520/06 (Stringer u. a. / Her Majesty’s Revenue and Customs))
C-350/06
C-520/06
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