EuGH: Kündigung wegen In-vitro-Fertilisation unzulässig
Die Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin, die sich einer In-vitro-Fertilisation unterzieht, ist unzulässig, wenn die Kündigung wegen der In-vitro-Fertilisation ausgesprochen wird.
Die Klägerin war seit dem 03.01.2005 bei einer Bäckerei als Kellnerin beschäftigt. Gleichzeitig unterzog sie sich einer Hormonbehandlung zur Vornahme einer künstlichen Befruchtung. Am 10.03.2005 wurde vom Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen. Mit Schreiben vom selben Tag informierte die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber darüber, dass für den 13.03.2005 die Einsetzung künstlich befruchteter Eizellen in ihre Gebärmutter beabsichtigt sei. Die Eizellen waren zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung bereits mit den Samenzellen ihres Partners befruchtet. Die Eizellen wurden wie geplant am 13.03.2005 in die Gebärmutter eingesetzt. Die Arbeitnehmerin machte daraufhin geltend, dass ihr ab dem Zeitpunkt der künstlichen Befruchtung ihrer Eizellen, also bereits vor der Einsetzung der Eizellen in die Gebärmutter, der Kündigungsschutz Schwangerer zukomme.
Der zuständige Oberste Gerichtshof der Republik Österreich legte den Sachverhalt dem Europäischen Gerichtshof vor, damit der EuGH darüber entscheiden kann, ob eine Frau im Sinne der Richtlinie zur Sicherheit und zum Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen bereits schwanger sei, bevor künstlich befruchtete Eizellen in die Gebärmutter eingesetzt worden seien.
Der EuGH erklärte dazu, dass eine Schwangerschaft im Sinne der Richtlinie bei einer In-vitro-Fertilisation erst mit der Einsetzung der befruchteten Eizellen in die Gebärmutter gegeben sei. Anderenfalls müsse der Kündigungsschutz auch dann gewährt werden, wenn die Einsetzung der befruchteten Eizellen erst Jahre nach der künstlichen Befruchtung erfolgte. Eine “Schwangerschaft” im Sinne der Richtlinie ist also erst mit der Einsetzung der in-vitro-befruchteten Eizellen gegeben.
Allerdings könne sich eine Arbeitnehmerin, die sich einer solchen In-vitro-Fertilisationsbehandlung unterziehe, auf den mit den Richtlinien zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern gewährten Schutz vor geschlechtsbedingter Diskriminierung berufen. Wenn eine Kündigung hauptsächlich deshalb erfolge, weil sich eine Arbeitnehmerin einer künstlichen Befruchtung unterziehe, stelle dieses eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes dar, weil solche Maßnahmen nur Frauen beträfen. Der Oberste Gerichtshof der Republik Österreich habe deshalb zu prüfen, ob die Tatsache, dass sich die Arbeitnehmerin einer In-vitro-Fertilisation unterzogen habe, den hauptsächlichen Grund für die Kündigung darstelle.
Hinweis von Herrn Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto: Der vorliegende Fall betrifft unmittelbar einen vom Obersten Gerichtshof der Republik Österreich dem EuGH vorgelegten Sachverhalt. Gleichwohl hat die Entscheidung des EuGH auch für das deutsche Recht Auswirkungen. Das Mutterschutzgesetz dient auch der Umsetzung der Richtlinie 92/85/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz und ist richtlinienkonform auszulegen. Demgemäß werden auch deutsche Arbeitsgerichte bei der Auslegung des Mutterschutzgesetzes das Urteil des EuGH zu berücksichtigen haben. Gleiches gilt für die verschiedenen Bestimmungen zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Soweit eine gegenüber einer Frau ausgesprochene Kündigung nicht ohnehin schon aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, würde es einen Verstoß gegen den im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz niedergelegten Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen darstellen, wenn eine Kündigung darauf gestützt würde, dass sich eine Frau einer künstlichen Befruchtung unterzieht. Gleiches gilt, wenn die Kündigung auf etwaige mit der Vornahme einer künstlichen Befruchtung verbundenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit gestützt würde.