Hess. LAG: einstweilige Verfügung zur Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen

Die Unverbindlichkeit mitbestimmungswidriger Weisungen des Arbeitgebers steht dem Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahmen nicht entgegen.

Im Betrieb der Antragsgegnerin galt eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit. Diese enthielt u. a. folgende Regelung:

Nachträgliche Änderungen der AZP’s werden dem Betriebsrat mitgeteilt und bedürfen seiner Zustimmung.

Trotz dieser Regelung verstieß die Arbeitgeberin mehrfach gegen die Betriebsvereinbarung und änderte Arbeitszeiten in den von dem Betriebsrat genehmigten Arbeits- und Pausenplänen ohne Zustimmung des Betriebsrates ab. Der Betriebsrat leitete deshalb ein Beschlussverfahren ein und verlangte im Wege der einstweiligen Verfügung, der Arbeitgeberin die Abänderung von Arbeitszeiten und Einsatztagen ohne Zustimmung des Betriebsrates zu untersagen. Nachdem das Arbeitsgericht die einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen hatte, legte die Arbeitgeberin Beschwerde beim Hessischen Landesarbeitsgericht ein und begründete diese damit, dass ein Verfügungsgrund nicht bestehe. Das zu sichernde Beteiligungsrecht des Betriebsrates diene nur dazu, zum Schutz der Arbeitnehmer mitgestaltend tätig zu werden. Die Einhaltung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates sei allerdings Wirksamkeitsvoraussetzung der entsprechenden Anweisungen an die Arbeitnehmer. Die einseitige Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit durch den Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrates sei für den Arbeitnehmer deshalb unbeachtlich. Weil diese sich an die mitbestimmungswidrig erlassenen Weisungen nicht halten müssten, seien sie deshalb “umfassend geschützt”. Deshalb bestünde ein Verfügungsgrund für eine einstweilige Verfügung zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nicht.

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Wenn ein Arbeitgeber die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates verletze, könne der Betriebsrat regelmäßig für die Zukunft Unterlassung verlangen. Es läge auch ein entsprechender Verfügungsgrund vor. Insbesondere sei festzustellen dass der durch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bezweckte Schutz der Arbeitnehmer ohne den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin unwiderbringlich vereitelt werde. Zwar sei das Mitbestimmungsrecht dem Betriebsrat nicht um seiner selbst willen eingeräumt. Der Betriebsrat habe aber die Aufgabe, als gewähltes Kollektivorgan die Interessen der Belegschaft wahrzunehmen. Dabei reiche es nicht aus, dass sich ein Arbeitnehmer gegen eine mitbestimmungswidrige Maßnahme wehren könne. Anders als der einzelne Arbeitnehmer müsse der Betriebsrat nämlich die “Kollektivinteressen” der Gesamtbelegschaft wahrnehmen, die mit dem Interesse des einzelnen Arbeitnehmers nicht immer identisch sein müssten. Darüber hinaus ist es gerade die Aufgabe des Betriebsrates, die kollektiven Belegschaftsinteressen gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Anders als der “normale” Arbeitnehmer genössen die Mitglieder des Betriebsrates deshalb die Schutzbestimmungen der §§ 79 BetrVG und 15 KSchG. (Hessisches LAG vom 04.10.2007 5 TaBVGa 91/07)

Hinweis von Herrn Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto: Das Hessische Landesarbeitsgericht hat mit dieser Entscheidung in der wünschenswerten Deutlichkeit zu einer Rechtsauffassung Stellung genommen, die in der jüngeren Zeit auch von einzelnen Arbeitsgerichten geteilt wurde. Diese verwiesen auf die Unwirksamkeit mitbestimmungswidrig erlassener Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers und begründeten damit die Ablehnung eines entsprechenden Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Arbeitgeber. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die wesentlichen Kernpunkte dabei betont: Zunächst hat es darauf hingewiesen, dass die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer nicht immer mit den von Betriebsrat wahrzunehmenden Interessen der Gesamtbelegschaft übereinstimmen müssen. So kann beispielsweise der einzelne Mitarbeiter durchaus ein besonderes Interesse daran haben, Überstunden oder Mehrarbeit ableisten zu können, während andere Mitarbeiter bei einem Übermaß von Mehrarbeit im Betrieb um ihren Arbeitsplatz bangen mögen. Darüber hinaus hat das Hessische Landesarbeitsgericht zutreffend auf das in den meisten Betrieben bestehende Machtgefälle hingewiesen. Während der Betriebsrat durch die Bestimmungen von §§ 78 BetrVG und 15 KSchG in besonderer Weise für etwaige Konflikte mit dem Arbeitgeber gewappnet ist, verfügt der einzelne Arbeitnehmer nicht über solche Schutzbestimmungen.

Aktenzeichen:

5 TaBVGa 91/07