LAG Baden-Württemberg: Wahlanfechtung im Betrieb „Zentrale“ der Daimler AG aufgrund fehlerhafter Zuordnung von Führungskräften als leitende Angestellte


Der Bereich der Führungskräfte ist bei der Daimler AG unterhalb des Vorstandes in den sogenannten C-Level und die Führungskräfte der Ebenen E1 – E4 gegliedert. Während die Angestellten der Führungsebene E4 in der Wählerliste für den Betriebsrat Berücksichtigung fanden, wurden die Beschäftigten der Führungsebene E3 und höher vom Wahlvorstand pauschal als leitende Angestellte betrachtet, ohne auf die Situation des einzelnen Beschäftigten einzugehen.

Die Betriebsratswahl wurde fristgerecht von 4 Arbeitnehmern angefochten. Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der Wahl festgestellt. Die daraufhin vom Betriebsrat und der Daimler AG erhobene Beschwerde wurde vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zurückgewiesen.

Bei seiner Entscheidung beschränkten sich das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht auf eine Betrachtung der Beschäftigten der Führungsebene E3. Es handelte sich dabei um 636 Mitarbeiter der insgesamt etwa 12.500 Mitarbeiter des Betriebes. Die Mitarbeiter der Führungsebene E3 seien durchweg weder zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt noch besäßen sie Generalvollmacht oder Prokura. Als leitende Angestellte könnten diese Personen deshalb gem. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG nur dann betrachtet werden, wenn sie jeweils nach ihrem Arbeitsvertrag und ihrer Stellung im Unternehmen oder Betrieb Aufgaben wahrnehmen, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder Betriebes von Bedeutung sind, sofern die Erfüllung dieser Aufgaben besondere Erfahrung und Kenntnisse voraussetzt und sie die Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen treffen oder sie maßgeblich beeinflussen.

Der Wahlvorstand hat eine solche Einzelfallprüfung nicht vorgenommen sondern entsprechend einer Absprache zwischen Betriebsrat und Daimler AG aus dem Jahr 2001 die Beschäftigten der Führungsebene E3 durchgängig als leitende Angestellte betrachtet.

Über diese Zuordnung erzielten der Wahlvorstand zur Wahl des Betriebsrates und der Wahlvorstand zur Wahl des Sprecherausschusses Einvernehmen. Wird ein solches Einvernehmen zwischen den Wahlvorständen erzielt, kann die Anfechtung der Wahl des Betriebsrates oder des Sprecherausschusses gem. § 18 Abs. 5 Satz 2 BetrVG grundsätzlich nicht auf die fehlerhafte Zuordnung von Mitarbeitern als leitende Angestellte gestützt werden. Das gilt jedoch gem. § 18 a Abs. 5 Satz 3 BetrVG nicht, „soweit die Zuordnung offensichtlich fehlerhaft ist“.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben eine solche offensichtliche Fehlerhaftigkeit bejaht. Wenn ohne Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen sämtliche Beschäftigten der Führungsebene E3 als leitende Angestellte behandelt würden, sei die Zuordnung der Angestellten offensichtlich fehlerhaft erfolgt. (LAG Baden-Württemberg vom 29.04.2011 – 7 TaBV 7/10)

Hinweise von Rechtsanwalt Rolf-Christian Otto: Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Baden-Württemberg kann von weitreichender Bedeutung für eine Vielzahl anderer Unternehmen sein. Die bei der Daimler AG geübte Praxis, sämtliche Mitarbeiter bestimmter Führungsebenen pauschal als leitende Angestellte zu betrachten, wird von vielen anderen Unternehmen und Wahlvorständen geteilt. Deshalb kommt der Frage, ob Mitarbeiter bestimmter Führungsebenen generell als leitende Angestellte betrachtet werden dürfen, wohl durchaus eine über den Fall deutlich hinausreichende Bedeutung zu. Das Landesarbeitsgericht hat gleichwohl die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen. Es bleibt nun abzuwarten, ob es der bereits angekündigten Nichtzulassungsbeschwerde stattgeben wird.

Sollte das Bundesarbeitsgericht der Nichtzulassungsbeschwerde stattgeben, wird es sich im Weiteren mit der Frage zu befassen haben, ob die Zuordnung von Führungskräften zum Führungslevel E3 nur dann erfolgt, wenn dem Mitarbeiter nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen tatsächlich Aufgaben übertragen werden, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens des Betriebes von Bedeutung sind und sie ihre Entscheidungen im Wesentlichen frei von Weisungen treffen oder die Entscheidungen maßgeblich beeinflussen. Dabei wird erforderlich sein, dass diese Voraussetzungen bei der Zuordnung eines Mitarbeiters zum Führungslevel E3 oder höher stets erfüllt sind; sind diese Voraussetzungen nur regelmäßig, nicht aber stets erfüllt, dürfte das für eine pauschale Zuordnung der Mitarbeiter des Führungslevels E3 zur Gruppe der leitenden Angestellten nicht ausreichen, da dann wiederum eine Einzelfallprüfung erforderlich sein dürfte.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben sich nach dem Vortrag der Parteien offensichtlich nicht in der Lage gesehen, auch bei Führungskräften des Führungslevels E3 stets von der Erfüllung dieser Voraussetzungen ausgehen zu können.

Für die Praxis in anderen Unternehmen ist die Entscheidung auch deshalb von Bedeutung, weil die bei der Daimler AG geübte Praxis auch anderen Orts nicht unüblich ist. Diese Praxis kann jedoch, wie die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg zeigt, schon dann scheitern, wenn nur wenige – das Gesetz lässt drei Personen ausreichen – Unzufriedene die Wahl fristgemäß anfechten.

Die zutreffende Zuordnung von Arbeitnehmern zur Gruppe der leitenden Angestellten ist zwar durchaus komplex, der Gesetzgeber hat mit der Bestimmung von § 18 a BetrVG jedoch die Möglichkeit eines in der Praxis handhabbaren und juristisch belastbaren Zuordnungsverfahrens zu schaffen. Soweit die Wahlvorstände für die Wahlen des Betriebsrates und des Sprecherausschusses zu einer Einigung über die Zuordnung gelangen, kann eine Anfechtung auf eine fehlerhafte Zuordnung nur noch dann gestützt werden, wenn die Zuordnung offensichtlich fehlerhaft ist. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben im vorliegenden Fall die offensichtliche Fehlerhaftigkeit deshalb bejaht, weil keine Einzelfallprüfung vorgenommen wurde. Nehmen die Wahlvorstände jedoch eine Einzelfallprüfung vor und kommen sie dann zu einer Übereinkunft über die Zuordnung, dürfte die offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Zuordnung und damit auch eine auf eine fehlerhafte Zuordnung gestützte Wahlanfechtung bei ordnungsgemäßer Durchführung der Einzelfallprüfung im Regelfall ausgeschlossen sein.

Aktenzeichen:

7 TaBV 7/10