LAG Berlin-Brandenburg: Die Kostentragungspflicht im arbeitsgerichtlichen Verfahren und damit auch für Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz regelt sich nach § 12a ArbGG

Die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits nimmt die Beklagte auf Schadensersatz bzw. Entschädigung aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in Anspruch. 

Die Klägerin ist selbstständige Parlamentsstenografin und selbstständige Rechtsanwältin. Die Beklagte schrieb für das Referat PD 3 – Stenografischer Dienst – (PD 3) in der Verwaltung des Deutschen Bundestages mit Bewerbungsschluss 28.02.2020 Stellen als Stenografen (w/m/d), Besoldungsgruppe A 13 BBesO/14 bzw. Entgeltgruppe 13/14 TVöD aus. 

Die Klägerin, die mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehindert ist, bewarb sich mit Schreiben vom 24.02.2020 bei dem beklagten Land. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 23.04.2020 mit, dass aufgrund Nichterfüllung der zwingend geforderten Kriterien der Ausschreibung die Bewerbung der Klägerin nicht weiter im Auswahlverfahren habe berücksichtigt werden können und man sich für andere Bewerberinnen bzw. Bewerber entschieden habe. 

Die Klägerin strengte daraufhin beim Arbeitsgericht Berlin am 13.05.2020 ein einstweiliges Verfügungsverfahren an, welches auf vorläufige Nichtbesetzung der ausgeschriebenen Stellen Stenografen (w/m/d) im Referat PD 3, Stenografischer Dienst des Deutschen Bundestages gerichtet war. Des Weiteren erhob sie am 14.05.2020 Klage beim Arbeitsgericht Berlin, mit welcher sie die Beklagte u.a. auf Neuentscheidung ihrer Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Anspruch nahm. Mit Schreiben vom 17.08.2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie mit ihr ihre Bewerbung als Stenografin im Referat PD 3 gerne persönlich besprechen wolle. Sie lud die Klägerin zu einem Praxistest (Erstellung eines Protokolltextes auf der Grundlage einer Audiodatei) am 27.08.2020 in das Referat PD 3 ein und wies darauf hin, dass am 28.08.2020 das Vorstellungsgespräch beim Personalreferat der Verwaltung des Deutschen Bundestages stattfinden werde. Die Termine mussten auf Bitten der Klägerin mehrfach verschoben werden, sodass die Beklagte die Klägerin letztlich mit Schreiben vom 05.10.2020 zu einem Auswahlverfahren am 11.11.2020 in Form eines Praxistests und eines Vorstellungsgesprächs einlud. 

Zwischenzeitlich hatte die Beklagte am 23.09.2020 erneut zwei Stellen als Stenografen im Referat PD – 3 ausgeschrieben und die Klägerin hatte sich am 30.09.2020 auf diese Stellenausschreibung beworben. Aufgrund ihrer erneuten Bewerbung nahm die Klägerin am 30.09.2020 ihre Klage vor dem Arbeitsgericht Berlin auf Neuentscheidung ihrer Bewerbung vom 24.02.2020 zurück. 

Dennoch machte die Klägerin mit ihrer am 05.10.2020 bei Gericht eingegangenen Klage einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von jedenfalls drei Bruttomonatsvergütungen der Entgeltgruppe 14, Stufe 3 TVöD geltend und begehrt die Feststellung, dass ihr die Beklagte als Schadensersatz sämtliche ihr entstehenden Kosten der Rechtsverfolgung im Zusammenhang mit ihrer Bewerbung vom 24.02.2020 zu zahlen habe. Die Klägerin meint u.a., aufgrund der fehlenden Einladung zum Vorstellungsgespräch auf ihre Bewerbung vom 24.02.2020 hin, sei eine Benachteiligung aufgrund ihrer Schwerbehinderung indiziert. Denn eine fachliche Ungeeignetheit liege nicht vor.  

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17.11.2021 abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, über die nunmehr das LAG Berlin-Brandenburg zu entscheiden hatte. 

Das LAG hat der Klägerin im Ergebnis eine Entschädigung in Höhe von 7.236,90 EUR zugestanden und die Berufung im Übrigen, insbesondere hinsichtlich etwaiger Rechtsverfolgungskosten, zurückgewiesen. 

Die Beklagte habe der Klägerin bereits mit Schreiben vom 23.04.2020 mitgeteilt, dass ihre Bewerbung nicht weiter im Auswahlverfahren habe berücksichtigt werden können und man sich für andere Bewerberinnen bzw. Bewerber entschieden habe. Damit habe die Beklagte deutlich gemacht, dass das Auswahlverfahren abgeschlossen und zulasten der Klägerin entschieden worden ist. Diese unter dem 23.04.2020 erfolgte Entscheidung zur Nichteinstellung der Klägerin werde nicht dadurch aufgehoben, dass die Beklagte unter dem 17.08.2020 die Klägerin zu einem Praxistest und Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Denn zu diesem Zeitpunkt war die (erste) Entscheidung zur Nichteinstellung der Klägerin bereits gefallen. An diesem Umstand ändere sich, so das LAG, nichts, wenn der Klägerin später die Gelegenheit gegeben wurde, an einem Auswahlprozess teilzunehmen, der aufgrund einer neuen Entscheidung der Beklagten zu einer späteren Einstellung der Klägerin führen würde. 

Nach § 165 Satz 3 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die sich um einen Arbeitsplatz bei einem öffentlichen Arbeitgeber beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Nach § 165 Satz 4 SGB IX ist eine Einladung nur entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehle. Nach diesen Maßstäben hätte die Klägerin vor der ersten Auswahlentscheidung und Absage an die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch geladen werden müssen. Sie war, so das LAG, nicht offensichtlich ungeeignet.  

Die Nichteinladung und Nichteinstellung stelle nach Ansicht des LAG eine Diskriminierung der Klägerin aufgrund ihrer Schwerbehinderung dar, sodass gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung in Höhe von 7.236,90 EUR festzusetzen war. 

Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG habe eine Doppelfunktion: Sie diene einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren sei. Der festgesetzte Betrag in Höhe von 7.236,90 EUR entspreche 1 ½ Bruttomonatsgehältern der EG 13 TVöD Bund Stufe 3. Mit diesem Betrag werde die Klägerin angemessen für den durch die unzulässige Diskriminierung – ausschließlich – wegen der (Schwer) Behinderung erlittenen immateriellen Schaden entschädigt; dieser Betrag sei zugleich auch erforderlich, aber auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen. 

Die Klägerin habe darüber hinaus allerdings keinen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten. Der Anspruch werde nach § 12a ArbGG ausgeschlossen. So heißt es in § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG:  

„(1) In Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands.“

§ 12a ArbGG schließe damit nicht nur den prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch, der als Schadensersatzanspruch entstanden ist, und damit auch vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten und Beitreibungskosten aus. § 12a ArbGG gelte uneingeschränkt auch für Klagen nach dem AGG.

Aus § 15 AGG ergebe sich auch kein Anspruch auf Ersatz gerichtlicher Rechtsverfolgungskosten entgegen den Regelungen des § 12a ArbGG. Dagegen ergeben sich auch keine europarechtlichen Bedenken. Beschäftigte, die eine Klage nach dem AGG erheben, werden auch nicht gegenüber anderen benachteiligt, weil der Ausschluss der Erstattung alle Personen betreffe, die ihre Rechte vor dem Arbeitsgericht im Urteilsverfahren geltend machen. 

 

Hinweise von Rechtsanwalt Adrian Kalb:

Bei § 12a ArbGG handelt es sich um eine für die Arbeitsgerichtsbarkeit exklusive Vorschrift, die von den Regelungen zur Kostentragungspflicht bei anderen Gerichtsbarkeiten deutlich abweicht. Während beispielsweise im zivilrechtlichen Verfahren vor dem Amts- oder Landgericht grundsätzlich die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreites, zu denen auch die Anwaltskosten gehören, trägt, besteht insbesondere im Urteilsverfahren vor dem Arbeitsgericht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten. § 12a ArbGG soll damit insbesondere eine Verbilligung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens für die Parteien bezwecken. Dies folgt aus der Überlegung, wonach Arbeitsverhältnisse in der Regel die wesentliche Grundlage der Existenzsicherung darstellen und gleichzeitig stets von einem Kräfteungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geprägt sind. Aus diesem Grund soll durch § 12a ArbGG eine Verbilligung und damit ein vereinfachter Zugang zur Rechtsverfolgung im Arbeitsrecht erreicht werden. § 12a ArbGG beschränkt damit im Ergebnis das Kostenrisiko für die Parteien in der ersten Instanz und stellt in der Konsequenz eine Belastung der obsiegenden Partei dar, weil diese keine volle Kostenerstattung erlangt. Dies sollte in der vorgerichtlichen Abwägung und Beratung stets bedacht und eingepreist werden, denn durch eine Kostentragungspflicht selbst bei Obsiegen im Rechtsstreit, kann der vermeintliche Erfolg des Prozesses ggf. geschmälert werden. 

 

 

Gericht: 

LAG Berlin-Brandenburg

Aktenzeichen: 

4 Sa 413/22

Datum der Entscheidung: 

19.10.2022